«Hä?» ist die Abkürzung von «Bitte entschuldigen Sie, ich habe Sie nicht verstanden». Weil im Duden steht, dass «hä» eine saloppe Formulierung ist und ich als Kind gelernt habe, dass man nicht «hä» sagt, habe ich «hä» nur gedacht. Und zwar am Tag meiner ersten, direkten Bekanntschaft mit der Agrarpolitik 2022+ (AP 22+). Das war im Februar dieses Jahres. Frisch im Amt als Geschäftsführerin des Berner Bauernverbands durfte ich an einer hochkarätigen Sitzung zur Agrarpolitik teilnehmen.
Welche Meinung haben wohl meine Kühe
Mitarbeitende des Bundesamtes für Landwirtschaft haben über den Aufbau und Inhalt der AP 22+ informiert. Ich war beeindruckt. Der Umfang von Informationen, vorgängigen Absprachen und Diskussionen, Studien und Statistiken welche in dieses Werk einfliessen, übersteigt mein Vorstellungsvermögen. Nach gut einer Stunde, gefüllt mit Ausführungen, Fragen und Erklärungen, glaubte ich in groben Zügen zu verstehen, was in diesem Werk steht. Positiv daran ist, dass der Zahlungsrahmen für die Landwirtschaft in etwa gleich gross bleibt.
In den folgenden 120 Minuten wurde erklärt, wie die Mittel eingeteilt werden und welche Massnahmen neu Geld bringen und welche Massnahmen neu kein Geld mehr bringen. Auch als Anfängerin habe ich relativ schnell herausgefunden, dass die Förderung von Ökologie sehr wichtig ist und belohnt wird. Einen Ökologiefranken kann ich als Landwirtin zum Beispiel holen, wenn meine Kühe weniger im Laufhof stehen (Methanfrage). Auf den Tierwohlfranken muss ich dann aber verzichten. Welche Meinung haben wohl meine Kühe?
Wie soll man das alles umsetzen?
Mit verschiedenen Massnahmen wie der Herabsetzung der Düngergrossvieheinheiten (DGVE) pro Hektare oder der weiteren Einschränkung bei der Proteinzufuhr wird die Produktion von tierischen Produkten in der Schweiz gedrosselt. Auch die Pflanzenproduktion soll extensiver und noch umweltfreundlicher werden. Das Klima in der Schweiz könnte vielleicht davon profitieren. Das Klima Europas oder gar der Welt, profitiert ganz sicher nicht. Was wir nicht selber produzieren, wird importiert. Weder die Tiere noch das Klima wären erfreut über eine Verlagerung der Produktion ins Ausland.
Die AP 22+ gibt so viele Antworten auf so viele Fragen. Und alle Antworten werden gleichzeitig ausgesprochen, so dass ich die einzelnen nicht mehr verstehe. Mit ganz vielen, selbstverständlich nur gedachten «hä» ging ich zurück ins Büro. Mir ist bewusst geworden, dass ich nicht den Hauch einer Ahnung habe, wie das alles umzusetzen ist. Warum braucht es eine so aufwendige Umverteilung des Geldes, wenn am Schluss alle wieder gleich viel davon er-halten sollen? Warum soll der Tierbestand in der Schweiz und damit der Selbstversorgungsgrad gesenkt werden, wenn das Volk Ernährungssicherheit und einen möglichst hohen Standard im Bereich Tierwohl will? Warum muss ich so viel Zeit in das Ver-stehen der AP 22+ investieren, wenn ein Hauptziel deren Vereinfachung ist?
Viele Widersprüche und Zielkonflikte
Viele Fragen sind noch offen. Es bestehen viele Widersprüche und Zielkonflikte. Laufende Studien für die AP 22+ sind noch nicht ausgewertet, wissenschaftliche Resultate fehlen. Die neue AP soll schon 2022 in Kraft treten. Mir geht das zu schnell. Wenn etwas geändert wird, dann soll es nachhaltiger werden. Gute Dinge dürfen gut bleiben. Ich wünsche mir, dass die Involvierten nicht unter Zeitdruck solch wichtige Entscheidungen treffen. Der Berner Bauernverband hat den Antrag zur Rückweisung der Botschaft an den Bundesrat und für eine Reform in zwei Etappen gestellt.