Es war einmal eine Frau in einem Dorf am Rande der Schweiz namens Cécile Stamm. Die fröhliche Wirtin hatte vier Kindern und war mit einem Ackerbauern verheiratet. Die Menschen kamen zu ihr ins Restaurant, genossen ihr gutes Essen und erzählten ihr bis spät in die Nacht hinein ihre Leidensgeschichten. So ging das Jahr für Jahr.
So beginnt das Märchen. Doch dann kommt das Böse. Bei Cécile Stamm wurde von einem Tag auf den anderen Brustkrebs diagnostiziert. Zwei Operationen und eine lange Chemotherapie nahmen ihr die Lebenskraft. Sie musste das Restaurant «Brauerei» schliessen. Das raubte ihr auch noch die Lebensfreude. Es gab Tage, an denen sie nur weinen konnte. «Martin, wir müssen das Restaurant wieder öffnen, sonst drehe ich durch!», sagte sie zu ihrem Mann. So öffneten sie das Restaurant tagsüber wieder. Es ging ihr etwas besser.
Aufleben als Schlossherrin
Angrenzend ans Land der Stamm-Familie, auf der deutschen Seite der Grenze, steht ein schönes, altes Schloss. Nach 370 Jahren im Besitz der Familie Fürst von Fürstenberg wollte diese das ehemalige Römerkastell verkaufen. Landwirt Martin Stamm interessierte sich für das Land. «Das gibt es nur im Paket mit dem Schloss», beteuerte der Fürst. Es gab einen Familienrat. Es wurde Beschlossen, sich für das Paket zu bewerben. Das Angebot wurde akzeptiert.
Der Familie fiel auf, wie Cécile Stamm auflebte: Es sollten wieder Feste gefeiert werden im Rittersaal. Das Schloss wollte möbliert werden. Dazu musste sich die neue Schlossherrin in die Geschichte einlesen, die Möbel mussten schliesslich zum Schloss passen. «Nächtelang war ich am Computer und suchte, wo es etwas zu ergattern gab. Es wurde fast zu einer Sucht», erzählt Cécile Stamm. «Ich opferte meine ganze Freizeit dafür, und das Restaurant ‹Brauerei› musste auch geführt werden. Aber es machte mir riesig Freude.» Am Anfang fragten sie die Leute: «Was willst du mit 61 Jahren noch mit so einem Schloss!» Cécile Stamm ist eine Frau, die eine Aufgabe braucht. «Hätte nicht jede Frau eine riesige Freude, Schlossherrin zu werden?»
Céciles Tipp
«Nie aufgeben im Leben, immer weiterkämpfen, auch wenn es schwierig ist. Ohren und Augen immer offen halten: Für etwas Neues ist man nie zu alt. Es muss einem einfach Freude bereiten und zufrieden machen.»
Aus einer alten Villa konnte sie mehrere zeit- und stilgemässe Möbelstücke erwerben. Ein Jäger schenkte ihr seine Geweihsammlung für den Jagdraum, ein anderer den ausgestopften Wildschweinkopf, den seine Frau nicht mehr über dem Esstisch sehen wollte. Die 120-jährigen Wirtstische- und Stühle wurden vom Estrich der «Brauerei» geholt, abgelaugt, gestrichen und in den kleinen Saal gestellt. Darin finden nun Klassentreffen und Geburtstagspartys statt. Immer mehr Menschen boten ihr antike Möbel an. Irgendwann genügte es ihrem Mann: «Du bringst uns noch zum Bankrott mit deinen Möbelkäufen!» Sohn Martin schwor, kein einziges Möbelstück mehr die Treppe hinaufzuschleppen.
Mit vollem Familieneinsatz
Das Schloss erfordert den Einsatz der ganzen Familie. Die Männer rodeten Büsche im Garten, Parkettböden wurden abgeschliffen, Fassaden neu gemacht, zerfallene Schlossmauern renoviert. «Es war eine riesige Arbeit für die beiden Martins», gibt Cécile Stamm zu. Ihre drei Töchter helfen ihr mit Führungen, bei Festen und mit den schriftlichen Arbeiten. «Ohne die Unterstützung der Familie ginge es nicht. Das macht alles viel Arbeit.»
Nicht jedermann freute sich mit der neuen Schlossfamilie. Vor allem die deutschen Bauern waren sauer auf den Schweizer, der «ihr» Land wegkaufte und dazu noch das Schloss. «Neid und Missgunst gibt es überall», meint Cécile Stamm. «Aber die Arbeit, die man leistet, sehen die meisten nicht.» Die Wende brachte der erste, öffentlichen Gottesdienst in der renovierten Schlosskapelle. Mit unter den Gästen waren nämlich die Bauern, die am lautesten protestiert hatten.
Auch mit 70 noch Pläne
Die grosse Schlossküche steht still, sie ist nicht mehr gesetzeskonform. Grössere Anlässe werden durch einen Caterer bestritten. Für kleinere Partys bieten Cécile Stamm und ihre Familie ein Salatbuffet mit Grill an. Die Bäuerin und ihre Töchter würden nur zu gerne einen Gästebetrieb aufziehen. Das ehemalige Schlafzimmer vom Fürsten wäre perfekt für die Hochzeitsnacht. Gästezimmer gäbe es für die Eingeladenen auch eine ganze Menge, und mit 15 Badezimmern müsste niemand anstehen. Dazu müssten aber teure Umbauten unternommen werden, um den Vorschriften zu genügen.
Die Stamm-Frauen haben das Projekt noch nicht aufgegeben. Auch mit 70 hat die Schlossherrin noch Pläne. «So lange ich noch Kraft und vor allem Freude daran habe, mache ich weiter», sagt sie. «Wenn man die schön gedeckten Tafeln an einer Hochzeit sieht und das glückliche Brautpaar, das sind schon romantische Momente wie im Märchen!» Ein Märchen, das mit einer gesunden Schlossherrin endet. Marianne Stamm
Weitere Informationen: www.schloss-hohenlupfen.com