Es ist ein dunkler Wintertag, als ich Barbara Eichenberger hoch über dem Hallwilersee besuche. Und sogar an diesem trübseligen Tag ist der Ausblick auf den Hallwilersee und das Aargauer Seetal vom Hof Zihlstrasse 81 noch grossartig. Der 54-jährigen Bäuerin Barbara Eichenberger ist diese Aussicht auch nach 30 Jahren noch nicht verleidet. «Bei schönem Wetter sehen wir im Osten die Glarner Alpen, im Süden blicken wir tief in die Zentralschweizer Berge und weit im Westen erkennt man Eiger, Mönch und Jungfrau», erklärt sie die theoretische Aussicht.
Jugend in offenem Haus
Barbara Eichenberger, Mutter von zwei Kindern und Präsidentin der Beinwiler Landfrauen, wuchs mit drei Geschwistern auf dem Pachthof «Gyselgut» in Heimisbach BE auf. Dort war die Aussicht zwar auch gut, aber das Beste war das offene Bauernhaus. So hat sie es in Erinnerung. «Meine Eltern pflegten einen guten Umgang mit allen Leuten aus dem Dorf», erinnert sich Barbara Eichenberger.
Aus drei Gründen hätte das Gyselgut ein jederzeit offenes Haus gehabt: Erstens sei ihr Vater lange Zuchtbuchführer gewesen, zu einer Zeit, als man Änderungen des Viehbestands noch persönlich dem Zuchtbuchführer meldete, und zweitens führte die Haustüre, wie im Bernbiet üblich, direkt in die Küche. Besucher habe man deshalb immer direkt in die Küche gebeten. Und drittens «haben meine Eltern jeden Sommer Ferienkinder aus der Stadt aufgenommen», erinnert sie sich. Aber sie erinnert sich auch an einen Vorsatz, den sie als junges Mädchen fasste: «Ich werde nie einen Bauern heiraten und ich werde nie Bäuerin.»
Landjugend statt Tinder
Nach der Schule absolvierte Barbara Eichenberger das bäuerliche Haushaltslehrjahr, dann machte sie eine Lehre als Topfpflanzen- und Schnittblumengärtnerin. Als junge Frau trat sie in die Landjugend ein, das war die damalige Alternative zu Tinder oder ähnlichen Kupplungsprogrammen. In der Landjugend traf sie als 19-Jährige auf einen flotten jungen Aargauer, Hannes Eichenberger. Und es gab «einen Match» – würden die heutigen Jungen sagen. Damals flogen die Funken zwischen den beiden, und schon planten Barbara und Hannes Eichenberger ihre gemeinsame Zukunft. Nach einem Jahr als Gärtnerin besuchte sie die Bäuerinnenschule Waldhof bei Langenthal BE.
Die Nachbarn sind im Aargau anders
Das junge Paar wollte den Hof in Beinwil AG, der nach dem frühen Tod von Vater Eichenberger verpachtet worden war, erst pachtweise übernehmen. Doch das Schicksal wollte es anders: Drei Monate vor der Hochzeit starb unerwartet ihre Schwiegermutter. «1990 kauften wir gemeinsam den Hof und stellten ihn auf Bio um», erinnert sich Barbara Eichenberger in der Stube.
Sie wollte ebenfalls ein offenes Bauernhaus führen, wie sie es in Heimisbach erlebt hatte. «Als junge Frau fiel mir auf, dass im Aargau Besuch offenbar vor der Türe abgefertigt und nicht ins Haus eingeladen wurde, wie ich es als Kind im Gyselgut in Heimisbach erlebte», schildert sie. Und dass sie vor 30 Jahren von den Nachbarn erst gesiezt wurde, fand sie befremdlich. Sie kannte von der Emmentaler Heimat her nur das Du. «Zum Glück hat sich beides geändert», atmet sie auf.
Landdienstler aus aller Welt
Für die nötigen Änderungen sorgte sie selber tatkräftig. Schnell kehrte Leben auf dem damals sechs Hektaren kleinen Biobauernhof ein. Ab 1992 kamen jeden Sommer junge Landdienstler auf den Hof, später junge Menschen aus aller Welt, die vom ICYE (International Cultural Youth Exchange) vermittelt wurden. Auch die Kinder Katrin und Alexander schätzten das rege Kommen und Gehen auf dem Hof. Junge Leute aus aller Welt – 2008 bis 2011 sogar Frauen aus Taiwan – arbeiteten und lebten jeweils ein paar Wochen auf dem Hof.
Zusammen sein und essen
Als junge Mutter nahm sie sich vor, täglich eine halbe Stunde mit ihren Kindern in den Tagesablauf einzuplanen. Das funktionierte nicht wie gedacht. Sie nahm sich die Zeit, wenn die Kinder zu ihr kamen mit einem Wunsch, wie zum Beispiel in der nahe gelegene Badi schwimmen zu gehen. «Das war gut investierte Zeit», blickt sie zurück.
Die Kinder Katrin und Alexander sind beide verheiratet, arbeiten als Hochbauzeichner bzw. als Fachfrau Hauswirtschaft. Eichenbergers drängten sie nicht dazu, landwirtschaftliche Berufe zu lernen. «Wir konnten als junge Leute auch selber unseren Weg wählen», findet sie.
Noch etwas schätzte Barbara Eichenberger in ihrer Emmentaler Heimat, und sie führt es konsequent bis heute weiter: das gemeinsame Essen. Sie geht sogar so weit mit ihrer Überzeugung, dass sie sagt: «Es ist nicht wichtig, was auf dem Tisch steht, sondern, dass man gemeinsam um den Tisch sitzt und gemeinsam zusammen isst.» Das hat sich eingespielt, auch heute.
«Zusammenhalt braucht Strukturen»
Die gelernte Gärtnerin arbeitet zwei bis drei Tage in der Woche in der Landi im nahen Reinach AG. Heute kehrte sie um 13 Uhr nach Hause zurück. Ihr Mann Hannes hatte gekocht und um Viertel nach eins sassen beide am Tisch und assen gemeinsam.
«Ein Zusammenhalt braucht Strukturen», ist sie überzeugt. Von Zeit zu Zeit nimmt das Paar junge Menschen in einer Lebenskrise auf. Diese helfen tagsüber auf dem Hof mit, und Eichenbergers helfen ihnen, allmählich wieder festen Boden unter die Füsse zu bekommen. Wenn das gelingt, freut sie das besonders.