Isle of Harris Scott MacRury sitzt hinter einer riesigen Webmaschine in einem Containergebäude auf der Insel Lewis in Schottland. Der kleine Raum ist so eng, dass es schwierig ist, sich zu bewegen. In einer Box in der Ecke bellt ein Schäferhund. Ruhig gehen die Beine des Schotten auf und ab. Er webt sandbraunen, dichten Tweed-Stoff aus der Wolle von Blackface-Schafen. Für einen Tweed mit einer Länge von 58 Metern bekommt Mac-Rury 180 Pfund. Zwei Tweeds macht er pro Woche. Daneben arbeitet er noch als Pöstler und Crofter (siehe Kasten). Der kleine landwirtschaftliche Betrieb mit einer Fläche von rund 3237 Aren gibt nicht genug her. Die 80 Mutterschafe und rund 70 Lämmer hält MacRury daher eher als Hobby. «Ich wünschte, ich könnte von der Croft leben, aber dafür müsste ich mindestens 2000 Schafe haben.» Mit solch einer grossen Herde wäre er dann auch nicht mehr ein Crofter, sondern eher ein Farmer, meint der junge stämmige Schotte mit dunklem dichtem Haar.

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150 Schafe sind viel

Alles in allem kommen Scott MacRury und seine junge Familie mit den Subventionen knapp durch. In fünf Wochen erwartet seine Frau das zweite Kind. «Wenn meine Frau im Dorf erzählt, dass ihr Mann 150 Schafe hat, dann ist das für die Leute viel», so MacRury mit einem Schmunzeln im Gesicht. Auf der Insel Lewis gibt es rund 1000 weitere Crofter. Rund 50 im Ort, wo MacRury wohnt. Die meisten betreiben Landwirtschaft in ganz kleinen Dimensionen und haben daneben noch andere Jobs. «Fast jeder hat hier eine Croft, sie werden über Generationen weitergegeben», erklärt der 32-jährige Bauer. «Es ist schade, dass die jungen Leute die Crofter-Kultur nicht mehr weiterführen», so MacRury. Sie wollten sich die Hände nicht schmutzig machen, vermutet er. So kommt es, dass er neben dem Betrieb seines Grossvaters auch noch die Croft der Schwiegereltern übernommen hat und zehn weitere Crofts auf der Insel betreut.

 

Die Crofts

Insgesamt gibt es in Schottland 20 77 Crofts (Stand 2018), wie aus der Statistik der Vereinigung der Crofter – der Crofting Commission – zu lesen ist. Bei den Crofts handelt es sich um Betriebe, welche Landstücke für deren Besitzer, die «Landlords», landwirtschaftlich bewirtschaften. Sie dienten seit über hundert Jahren zur Selbstversorgung der Bewirtschafter, wie Rod MacKenzie von der Crofting Commission erklärt. «Die Bauern produzierten gerade das, was sie zum Essen brauchten» asa

 

Durch Fehler gelernt

Scott MacRury, webt an zwei Tagen in der Woche rund 8 Stunden pro Tag. Die Maschine hat er sich vom «British Woll Marketing Board» ausgeliehen. Die Vereinigung von rund 40 000 Schafbauern organisiert die Wollvermarktung in Grossbritanien. Den Stoff produziert MacRury ebenfalls für das Board. Dorthin schickt er auch die Wolle von seinen Schafen. Während er erzählt, rattert die Maschine beständig im Hintergrund. Das Handwerk hat er sich zusammen mit seinem Bruder selbst beigebracht. «Wir haben alles durchs Fehler-Machen gelernt» erklärt er. Die Crofter beherrschen viele Fertigkeiten, welche zum schottischen Kulturerbe gehören. Dazu gehört etwa Schafe Scheren, Umgang mit den Tieren generell, Weben, oder Hundetraining. Die Crofts müssten unbedingt bestehen bleiben, um das Erbe zu erhalten, bestätigt Rod MacKenzie von der Crofting Comission. Dazu kommt, dass die Kleinbauern Land bewirtschaften, welches sonst verwildern würde. «Die Aufgabe der Crofter ist auch die Landschaftspflege. Es gibt Landlords, welche gerne ihre Gebiete für das Crofting geben, weil diese das Land unterhalten», meint MacKenzie. Trotzdem seien einige Landlords auch skeptisch und würden das Land lieber selbst behalten. Denn es gibt ein Recht, das der Tenant – der Pächter – das Land erwerben kann. «Jedoch kann im Vertrag eine Klausel eingefügt werden, um das Recht abzuerkennen», meint Rod MacKenzie. Es sei Schade, dass nicht mehr Landlords ihre Crofts zur Bewirtschaftung vergeben. So gebe es für junge Leute nicht genügend Möglichkeiten um mit der Croft anzufangen.

 

Crofter sind nicht nur Bauern

MacRury steigt für einmal von seiner Webmaschine und geht zur Tür hinaus. Ein frostiger schottischer Wind begrüsst ihn draussen. Regentropfen perlen an seiner rot-schwarz-karrierten Fleece-Jacke ab. In der Hand hält er einen weissen Hirtenstab, der ihm bis zur Brust reicht. Draussen lässt er einige seiner Blackface-Schafe von seinem Hund über die Weide treiben. Ein Pfeifen durchdringt die kühle Luft, wenn er seinen Hund hin und her schickt. Im Hintergrund der graue Himmel und in der Ferne sieht man, wie die Wellen des Meeres wieder und wieder an der steinige Küste abprallen und zurückschwappen. Ein Bild, wie aus dem Urlaub-Katalog. «Die Crofts sind sehr wichtig für den Tourismus», erklärt Rod MacKenzie, als er über die neue Rolle der Crofts in Schottland spricht. Viele Kleinbauern würden neben dem Betrieb auch Gäste aufnehmen. Sei es in einem Bed and Breakfast oder auf einem Zeltplatz. Die Crofts hätten sich mit den Jahren differenziert.

 

Schottische Landwirtschaft in Zahlen

51'157 Landwirtschaftliche Betriebe gibt es in Schottland und es werden

174'731 Milchkühe,

424'250 Fleischrinder und

6'593'410 Schafe und Lämmer auf einer Fläche von

3'354'147 Hektaren gehalten von

67 000 Mitarbeitenden in der Landwirtschaft, was

2,5 % der Angestellten in Schottland sind.

 

Landflucht verhindern

Eine weitere Möglichkeit für die Crofts sieht Rod MacKenzie in Zukunft in der Produktion von erneuerbaren Energie. Etwa mit dem Einsatz von Windrädern oder Wasserkraft. MacKenzie sieht in den kleinbäuerlichen Betrieben ein Heilmittel für fast alles. So würden sie ebenfalls der Landflucht entgegenwirken. Junge Leute hätten so die Möglichkeit auf dem Land zu bleiben.

 

Chancen für den Agrotourismus

Viele Crofts unterhalten neben dem landwirtschaftlichen Betrieb touristische Projekte. Für Schottland ist der Tourismus eine der grössten Einkommensquellen. «Die Crofts haben die Infrastruktur für die Gäste aus aller Welt», wie Rod MacKenzie von der Crofting Comission erklärt. So bieten die Bauern von Bed und Breafast über Camping-Plätze bis zu touristischen Aktivitäten alles an. Schottland habe eine einzigartige Landschaft und eine interessante Geschichte zu erzählen. Dazu gehörten auch die Crofter, wie MacKenzie ausführt.

«Die Menschen wollen mehr über die Geschichte von Schottland erfahren», ergänzt Jamie Williamson, welcher in Kinguisse einen Betrieb mit 500 Schafen und 137 Kühen hat. Daneben bietet er 1000 Übernachtungsmöglichkeiten in kleinen Häuschen und 191 Camping-Plätze.  Die meisten Menschen leben heute in der Stadt, sie würden gerne erfahren, wie man auf dem Land lebt und wie und wo das Essen hergestellt wird, meint Williamson. Damit erfüllten die Crofter eine wichtige Rolle in der Wissensvermittlung über die Aufgaben der Landwirtschaft und verbinden so Stadt und Land.