Die Pfalz liegt meistens nicht auf dem Weg. Die grossen Verkehrswege lassen sie links bzw. westlich liegen. Allenfalls passieren die Reisenden Ludwigshafen, aber aufs Land verschlägt es sie dort eher selten. Das ist schade. Denn die Region hat einiges zu bieten.
Festfreudige Ecke
Ein bisschen fühlt man sich hier schon wie im angrenzenden Frankreich. Das hat viel mit den Einheimischen zu tun. Es ist eine der vermutlich festfreudigsten Regionen Deutschlands. Hier steigen jedes Wochenende Feste aller Art. Meistens sind sie dem Wein gewidmet. Und diesem wird hier kräftig zugesprochen. Häufig in Form eines Gespritzten, hier auch Weinschorle genannt. Diese trinkt man hier im Halbliterglas und davon meistens nicht nur eines.
Daneben wird hier aber auch hart gearbeitet, wie wir unlängst auf einer Studienreise des Europäischen Agrarjournalistenverbands Enaj feststellen durften. «Nachhaltige Wein- und Gemüseproduktion in der Pfalz» lautete das Motto. Die beiden Spezialkultur-Zweige werden in der Region grossflächig betrieben. Das für deutsche Verhältnisse milde Klima sorgt für ideale Bedingungen, wenn auch die bescheidenen Niederschläge zu einem wachsenden Problem werden.
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In Zahlen
22 800 ha Reben werden in der Pfalz angebaut, damit ist sie hinter Rheinhessen die zweitgrösste Weinbauregion Deutschlands. Die Schweiz hat ca. 14 600 ha.
3600 Weingüter produzieren jährlich rund 2,5 Mio hl Wein.
1800 Sonnenstunden jährlich sorgen für das mildeste Klima im Land.
18 300 ha beträgt die Fläche der zweitwichtigsten Bewirtschaftungsform Gemüsebau in Rheinhessen und Pfalz kombiniert. Die Vorderpfalz wird nicht umsonst «Gemüsegarten Deutschlands» genannt.
99 Prozent des Gemüsebaus finden im Freiland statt.
550 mm beträgt die durchschnittliche jährliche Regenmenge.
15 Mio m3 Wasser fliessen jährlich in die Bewässerung.
Piwi fehlts an Akzeptanz
Zum Auftakt besuchte die knapp 20-köpfige Journalistengruppe den Geilweilerhof in Siebeldingen, das wie viele Dörfer hier über pittoreske Riegelbau-Architektur verfügt. Der ehemalige Landwirtschaftsbetrieb ist eine der 17 Forschungsstationen des Julius-Kühn-Instituts und befasst sich auf rund 30 ha Fläche ausschliesslich mit Rebbau.
Schwerpunkt der Forschungstätigkeit ist die langwierige Züchtung von pilzresistenten Rebsorten, auch bekannt als Piwi. Ziel ist laut dem Institutsleiter Reinhard Töpfer eine multiple Resistenz, um die Durchbrüche zu erschweren. Der Aufwand für die Züchtung einer marktreifen Rebe ist beträchtlich. Töpfer erwähnte die Sorte Calardis. Die Züchtung wurde 1993 in Angriff genommen, seit 2020 ist sie im Anbau, derzeit sind bundesweit 52 ha bepflanzt.
Ein grosses Problem ist für den Forscher die immer noch schwache Akzeptanz der neuen Sorten auf dem Markt, sowohl bei den Produzenten wie auch im Verkauf. Die mit Piwi bepflanzte Fläche betrage lediglich 6–7 Prozent der Fläche, so Töpfer. «Wir müssen die Konsumenten an der Hand nehmen», sagte er. Aber es sei sehr schwierig, sie von ihren krankheitsanfälligen Lieblingen auf neue Sorten umzupolen.
Dass Nachhaltigkeit aber bei vielen Winzern bereits ein grosses Thema ist, zeigte auch einer der Betriebsbesuche. Christoph und Johannes Siebert bewirtschaften in Grünstadt 40 ha Reben und stecken mitten in der Umstellung auf biologischen Weinbau. Neben dem Pflanzenschutz hält sie auch die Situation am Arbeitsmarkt auf Trab. Es sei sehr schwierig, Personal zu finden, erklärten sie uns.
Digitalisierung als Ausweg
Einen Ausweg sehen die Gebrüder Siebert in der Digitalisierung. Diese unterstützt die häufig ungelernten Angestellten bei anspruchsvollen Arbeiten in den Reben. Dabei setzen sie auf die sogenannte Vineyard Cloud, ein Produkt des Genossenschaftsverbands RWZ.
Ein Landwirtschafts-Paar mit Synergien
Heike und Peter Fehmel sind ein unternehmungslustiges Paar, im wahrsten Sinne des Wortes. Er bewirtschaftet einen Gemüsebaubetrieb mit 350 ha Freilandgemüse und 40 ha Anbau unter Glas und in Tunneln, davon ein Grossteil für Himbeeren.
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Verarbeiten statt wegwerfen
Heike Fehmel verarbeitet einen Teil der Ernte unter dem Markennamen «Von Heike». Entstanden ist die Idee zur Verarbeitung auf dem Betrieb in Mutterstadt aufgrund alter Tugenden. Es blieb auf dem Gemüsebetrieb immer Ware übrig, die aus Qualitätsgründen keinen Abnehmer fand. Wegwerfen geht aber gar nicht, wusste Heike Fehmel aus ihrer Kindheit. Deshalb begann sie – zunächst für den Hausgebrauch – mit der Verarbeitung von Zweitklassware.
Von Aprikosenkonfi bis Zucchini-Chutney
Aus der Selbstversorgung ist ein stattlicher Betriebszweig geworden. Die Produktepalette umfasst rund 150 Positionen und reicht von A wie Aprikosenkonfitüre bis Z wie Zucchini-Chutney. Längst hat sie das Sortiment über die selbst angebauten Produkte hinaus erweitert. Den grössten Teil kauft sie in der Region ein, exotischere Produkte, wie die Orangensauce Sicila, haben ihre eigene Geschichte: Ein ehemaliger Lieferant brachte als Geschenk sizilianische Orangen, diese blieben im Büro liegen und Heike Fehmel verarbeitete sie kurz vor dem Verschimmeln zu einer Sosse, die sofort reissenden Absatz fand. Ihr Mann steht daneben und schmunzelt. Er ist sichtlich zufrieden mit «Von Heike». Das Geld gehe alles in die gleiche Kasse, versichern die beiden.
Weitere Informationen: www.vonheike.de, www.fe-sa.de
