Frau Stricker, wie kam es dazu, dass Sie Kollegiales Coaching anbieten? Gab es ein Schlüsselerlebnis?

Esther Stricker: Ich kam ins Gespräch mit einer Kollegin, die Schulleiterin und ebenfalls Bäuerin ist. Sie erzählte mir von der kollegialen Intervention, wie sie in der Schule angewendet wird und dass sie dies auch für Bäuerinnen als wertvolles Instrument sieht. Als sie mir davon erzählte, war ich sofort begeistert und auch neugierig, diese Methode kennenzulernen. Zusammen haben wir die Idee weiterentwickelt und weitere Frauen gesucht, um das Projekt aufzugleisen.

 

Kurse für Kollegiales Coaching

Beim Kollegialen Coaching trifft sich eine Personengruppe und sucht neue Lösungen und neue Sichtweisen zu Alltagsthemen. Im März hätte im Kanton Thurgau ein Kurs mit Esther Stricker stattfinden sollen, der wegen der Corona-Pandemie auf unbestimmte Zeit verschoben wurde. Der Verband Thurgauer Landwirtschaft wird die neuen Kursdaten auf seiner Homepage ausschreiben: www.vtgl.ch

 

Wie muss man sich so ein Coaching vorstellen?

Kollegiales Coaching heisst, wir coachen uns mit unserem Wissen und unseren persönlichen Erfahrungen gegenseitig. Eine Teilnehmerin bringt ein aktuelles Thema ein. Durch gezielte Fragen der Gesprächsleiterin an die Fallbringerin kann sich die Gruppe ein Bild von der Situation machen. Anschliessend tauschen die Teilnehmerinnen aus, was sie gehört und beobachtet haben, was ihnen aufgefallen ist, wo sie die Stärken der Bäuerin sehen.

In einer zweiten Runde werden mögliche Lösungsansätze und Ideen kreiert. So erhält die Fallbringerin eine Aussensicht und kann mitnehmen, was für sie stimmt. Wir haben nicht den Anspruch, DIE Lösung zu finden. Allein das Formulieren der Situation und Raum und Zeit zu erhalten kann schon vieles lösen. Die Bäuerinnen geben oft die Rückmeldung, dass sie gestärkt aus dieser Runde gehen.

Wie bereiten Sie sich auf die Kurse vor? Welche Vorbereitungen müssen die Teilnehmerinnen treffen?

Ich bereite einen Input zu einem Kommunikationsthema vor, wofür wir vor dem Coaching etwa eine halbe Stunde Zeit einräumen. Ansonsten beschäftige ich mich immer wieder mit verschiedenen Methoden des Coachings, um Abwechslung zu schaffen. Es ist hilfreich, wenn die Teilnehmerinnen sich im Voraus Gedanken machen, ob und was für ein Thema sie einbringen möchten.

Welche Themen kommen an Ihren Kursen besonders häufig zur Sprache?

Themen wie hohe Arbeitsbelastung, Rollen auf dem Hof bei Betriebsübernahme respektive bei Betriebsübergabe, Beziehungsthemen zu Partner, Kindern, Eltern sowie die Abgrenzung zwischen Arbeit und Freizeit.

Beim Kollegialen Coaching gibt man ja sehr persönliche Sachen preis. Fällt es den Teilnehmerinnen schwer, sich zu öffnen? Oder besuchen eher verschlossene Personen Ihre Kurse erst gar nicht?

Ich staune immer wieder, wie schnell eine Vertrautheit da ist, die mit jedem Treffen weiter wächst. Wir verpflichten uns, dass über alles Stillschweigen herrscht, das ist sicher ein sehr wichtiges Element des Coachings.

Welches war Ihr prägendstes Erlebnis?

Als eine Teilnehmerin die Rückmeldung gab, dass sich die Situation nicht verändert habe, aber sie habe sich verändert. Die Abende ermöglichten ihr, eine neue Sicht und eine neue Haltung zu ihrer Situation zu erhalten.

Bieten Sie nur für Bäuerinnen Kurse an oder auch für nicht landwirtschaftliches Publikum?

Das Coaching bieten wir nur für Bäuerinnen an. Es wäre aber durchaus auch für andere Berufsgruppen zu empfehlen.

Haben Sie auch schon Kurse für Männer gegeben?

Ich durfte einmal eine gemischte Gruppe leiten, was sehr bereichernd und spannend war. Unsere Vision ist, dass sich auch Landwirte in einem Coaching zu Alltagsthemen austauschen.

Waren Sie auch schon in einer Lebenssituation, in der Ihnen Kollegiales Coaching geholfen hat?

Ich bin zurzeit selber als Teilnehmerin in einem Online-Coaching mit Bäuerinnen dabei. Ja, ich empfinde es als sehr wertvoll, Rückmeldungen und Wahrnehmungen von anderen Bäuerinnen zu erhalten.

Das Online-Coaching finde ich in der jetzigen Zeit eine gute Möglichkeit, sich auf diese Art auszutauschen. Es hat ebenfalls den Vorteil, dass der Anfahrtsweg wegfällt. Trotzdem finde ich das Präsenz-Gespräch hat eine andere Qualität, man spürt sich besser und fühlt sich vielleicht auch freier in einer neutralen Umgebung.

 

Über Esther Stricker

Esther Stricker ist 50 Jahre alt. Die Bäuerin und Mutter von drei Töchtern führt mit ihrem Mann in Mörschwil SG einen Betrieb mit Milchwirtschaft, Obstbau und Gartenunterhalt. Stricker ist Beraterin für Persönlichkeitsentwicklung und Sozialkompetenz ICL in Ausbildung und bietet Kurse für Kollegiales Coaching bei Bäuerinnen an.