Moritz Stamm trocknet seinen Körnermais. Er wird ihn noch einen Monat lang dreschen und dann einlagern – soweit das möglich ist, denn die Lager auf seinem Hof im zentralukrainischen Bahwa sind allesamt randvoll. «Auch in den Werkhallen, in denen wir für gewöhnlich unsere Maschinen reparieren, häuft sich der Weizen bis zur Decke», sagt Stamm.
Ein Taschengeld für Mais
Immerhin etwas Mais konnte der 2004 aus Thayngen SH ausgewanderte Landwirt verkaufen, für ein Taschengeld zwar, aber «das ist immer noch besser, als wenn die Ernte vergammelt».
Insgesamt konnte Stamm zuletzt 3000 t Mais und 2000 t Sonnenblumenkerne abstossen. Für den Mais bekam er umgerechnet 138 Fr./t, für die Sonnenblumen 344 Fr./t. Das entspricht etwa der Hälfte des gewöhnlichen Preises. Seit vier Wochen aber ist der Maispreis weiter gesunken und bei 105 Fr./t angekommen.
«Die Bauern haben grosse Mühe, ihre Ernte zu lagern, das nutzen die Händler aus», so Stamm. «Sie bezahlen nicht nur weniger, sie sind auch wählerischer, nur noch die besten Produkte finden Absatz.» 1,5 bis 2 Millionen Franken hat Stamm seit Ausbruch des Krieges verloren. Und das ist erst der Anfang.
Der Schaffhauser Landwirt lebt einzig vom Getreidehandel. Auf knapp 3000 ha, grösstenteils gepachtetem Land, baut er Raps, Mais, Weizen und Sonnenblumen an. Noch bei unserem Gespräch im Juni war Stamm bemüht, seine Sonnenblumenkerne loszuwerden, da sie am schwierigsten zu lagern sind. Bereits nach acht bis zwölf Monaten werden sie ranzig und damit unbrauchbar. Er liess darum einen spärlichen Teil seiner Ernte per Lastwagen zur Donaumündung bringen. Dort im ukrainischen Hafen Izmail unterhalb von Moldawien konnte die Ware verschifft werden.
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Erfreuliche Export-Wende
Einen Monat nach unserem ersten Gespräch, am 22. Juli, kam mit dem vom russischen Präsidenten Putin mitunterzeichneten UN-Abkommen «Black Sea Grain Initiative» eine erfreuliche Wende: Seither können Transportschiffe die Schwarzmeer-Häfen des Landes wieder ansteuern und das Getreide aus der Ukraine transportieren.
Auch wenn das Geschäft wenig lukrativ sei, vielmehr ein Nullsummenspiel, bewahre es doch viele Bauern vor dem Bankrott, so Stamm. Das Abkommen ist vor wenigen Tagen, am 22. November, ausgelaufen, wurde aber unterdessen verlängert, was bis kurz zuvor unsicher war.
Die Preise explodieren
Im September sei in sechs Kilometer Entfernung eine russische Rakete abgeschossen worden, erinnert sich Stamm. Sie hinterliess im Ackerfeld eines Nachbarn einen beachtlichen Krater. Nun habe sich die Lage in der Zentralukraine beruhigt, am Himmel sind weniger Kampfjets zu sehen. In den Supermärkten steigt das Angebot.
«Ich schätze, rund 95 Prozent des Sortiments sind wieder verfügbar, darunter auch ausländische Produkte.» Jedoch seien die Preise weiter in die Höhe geschossen, was die ohnehin schon schmalen Budgets der Bevölkerung stark belaste. Ging Stamm noch vor wenigen Monaten der Sprit aus, ist Diesel derzeit – zum doppelten Preis – fast an jeder Tankstelle wieder erhältlich.
Strom auf Sparflamme
Der Strom dagegen läuft auf Sparflamme. Jeweils dreimal täglich wird er im gesamten Land für mehrere Stunden ausgeschaltet. Das tangiert Stamm insofern, als dass er einige Maschinen unterhält, etwa die Getreidereinigungsmaschine oder den Getreidetrockner, die reichlich Strom fressen.
Stamm arbeitet daher mit einem Notstromaggregat, das von Lastwagenmotoren angetrieben wird. Am meisten Sorgen bereiten ihm derzeit die steigenden Düngerpreise. Für eine Tonne Stickstoffdünger (34,4 %) bezahlt der 41-Jährige 1000 Franken, vor einem Jahr waren es noch 335 Franken. Plus: Der Getreidepreis ist um die Hälfte abgesackt. «Es bahnt sich ein Super-GAU an. Der Handel ist total aus dem Ruder gelaufen», so Stamm.
Komplexer Düngermangel
Die Ursachen hierfür sind komplexer, als sie vorweg scheinen. Und der Krieg ist nur ein treibender Faktor. Ausschlaggebend waren auch die im 2021 gegen Belarus (neben Russland ein wichtiger Düngemittel-Exporteur) verhängten internationalen Sanktionen. Sie liessen die Preise für Dünger bereits Ende des Jahres in die Höhe schnellen. Hinzu kommen klimabedingte Fehlernten in verschiedenen Weltregionen, etwa grössere Getreideertragsausfälle in den USA.
Die Rolle von Corona
Und auch die Pandemie spielt eine Rolle: Geschlossene Grenzen und weniger Transportmöglichkeiten haben den Düngerhandel ebenfalls verteuert. Die rasche Erholung der Krise hat ein Nachholbedürfnis ausgelöst, die Nachfrage stieg und damit die Energiepreise. Diese wiederum haben Einfluss auf den Nahrungsmittelhandel. Wird der Dünger teurer, werden auch die Lebensmittel teurer, und wird weniger gedüngt, fällt die Ernte kleiner aus.
Noch vor Kurzem hat sich Stamm einen Vorrat an Stickstoffdünger angeschafft. Es sind Restbestände aus der Düngerfabrik Tscherkassy, 140 Kilometer von Bahva. Der Händler verkauft im Moment 70 Prozent weniger Dünger als sonst. «Ausländischer Dünger ist sehr schwierig zu bekommen. Russland als einer der weltweit wichtigsten Stickstoffdünger-Exporteure hat bereits im Februar sämtliche Ausfuhren gestoppt.» Auf Kali- und Phosphordünger kann Stamm im Moment verzichten, da sich noch Restmengen davon im Boden befinden. Anders der Stickstoff, er verflüchtigt sich rasch: «Ohne Stickstoff wächst so gut wie nichts mehr, ich hätte 80 Prozent weniger Ertrag.»
Hühnermist und Erbsen
Um kein Minusgeschäft zu machen, kann Stamm sein gepachtetes Land brach liegen lassen, bezahlen muss er es dennoch: 860 Verpächter gilt es zufriedenzustellen, aber mehr als das, sichert Stamm mit seinem Pachtzins doch deren finanzielles Überleben. Die Hälfte von ihnen bezahle er auch in Naturalien. «Die Verpächter würden in Panik geraten, wenn sie sähen, dass ich nichts mehr ansäe.»
Eine lohnende Alternative zu Dünger gebe es nicht, so Stamm. «Ich habe mir ein paar Lastwagen voll Hühnermist besorgt, aber hier in der Gegend wird kaum Tierhaltung betrieben.» Komme hinzu, dass der Transport aufwendig und teuer sei. Lohnender sei es da, auf Soja oder Eiweisserbsen umzusteigen. Diese müssen nur mit wenig Stickstoff angedüngt werden, was aber kein Geheimnis sei, sondern eine Überlegung, die sich derzeit fast alle Bauern machten. Stamm geht davon aus, dass «letztlich das Überangebot an Soja und Eiweisserbsen die Preise drücken und das Geschäft wenig Gewinn abwerfen wird».
Eine düstere Prognose
Eben kehrte ein Mitarbeiter von Stamm wegen Nierenproblemen von der Front zurück, ein anderer hingegen wurde eingezogen. Einer seiner Traktoristen befindet sich noch immer in Kriegsgefangenschaft. Seit fünf Monaten habe er kein Lebenszeichen mehr von ihm erhalten. Die Hoffnung auf ein gutes Ende, sie schwinde, sagt Stamm.
«Meine Prognose fällt heute einiges düsterer aus als noch vor wenigen Monaten. Ich weiss langsam nicht, wie wir aus all dem herauskommen sollen.» Dabei ist Stamm krisenerprobt. Seit er mit seiner Frau vor 18 Jahren in die Ukraine ausgewandert ist, hat er einiges erlebt. «Wir haben die Finanzkrise überstanden, Raubüberfälle auf unseren Betrieb, auch nach der Dürre vor zwei Jahren haben wir uns wieder aufgerafft.» Doch ein Krieg sei mit nichts zu vergleichen. Dennoch sei er froh, seine Frau und Kinder wieder bei sich zu haben. «So weiss man wenigstens, für wen man weiterkämpft.» Stamms Stimme entfernt sich und geht in einem Rauschen unter. Dann bricht die Verbindung ab.