Gleich zu Beginn wurden die Fakten geklärt. Erstens: Die Menschheit wächst weiter und muss ernährt werden. Zweitens: Der Klimawandel ist Realität und die Folgen bereits jetzt spürbar; auch in der Schweiz. Drittens: in der Schweiz trägt die Landwirtschaft zu über 13% der Treibhausgas-Emissionen bei.
Milchkühe dürfen bleiben
Um rund die Hälfte könnte der durch die Landwirtschaft verursachte Treibhausgas-Ausstoss reduziert werden, ohne dabei weniger Proteine und Kohlenhydrate zu produzieren, sagt Thomas Nemecek, Stellvertretender Forschungsgruppenleiter für Ökobilanzen von der Agroscope. Die grösste Verursacherin von Treibhausgasen ist die Nutztierhaltung. Sie ist verantwortlich für rund 58% des Treibhausgas-Ausstosses in der Landwirtschaft. Deshalb soll auch bei der Tierhaltung angesetzt werden, um die schnell Fortschreitende Erwärmung zu stoppen. Rindermast und Mutterkuhhaltung sollen stark reduziert, pflanzliche Proteine wie Leguminosen, aber auch Weizen und Spezialkulturen, wie Nüsse vermehrt angebaut werden. Auf tierische Proteine müsse man aber nicht vollständig verzichten, so Nemecek. Die Produktion von Eiern ist Klimaeffizient und soll beibehalten werden. Auch Milchkühe haben eine gute Bilanz. Sie sind effiziente Eiweissproduzenten und nützen das Grasland, das nicht für den Ackerbau geeignet ist.
Der Vorteil von Mutterkuh-Stieren
Auch wenn sie laut der Forschungsanstalt Agroscope wegen ihrer Klimawirkung eher schlecht abschneiden, haben Mutterkühe auch ihre Vorteile. Gerade beim männlichen Nachwuchs haben landwirtschaftliche Forschung und Erfahrung gezeigt, dass Munis mit Milchkühen als Mutter nach einiger Zeit häufiger aggressives Verhalten zeigen, als Stiere, die in einer Mutterkuh-Herde aufgewachsen sind (mehr zur Unfallprävention lesen).
Ein bekanntes Beispiel aus der Schweiz ist der Siegermuni des Eidgenössischen Schwing- und Älplerfests ESAF 2019, Kolin. Er wurde Anfang 2020 wegen aggressiven Verhaltens geschlachtet. (Weiterlesen). Der letzte Standort des Tieres war bei seinem Züchter Mändel Nussbaumer. Trotzdem zeigte sich Schwingerkönig Christian Stucki sehr betroffen.
Die Proteine der Zukunft
Die Suche nach alternativen Eiweissquellen ist dennoch unabdingbar, um die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren. Viel Potential sieht Alexander Mathys, der an der ETH über nachhaltige Lebensmittelverarbeitung forscht, in der Mikroalgenproduktion. Algen brauchen nur Wasser, Sonnenlicht oder eine Kohlenstoffquelle, um zu wachsen. Deshalb können sie auch fast überall produziert werden, beispielsweise an Hausfassaden, auf Dächern oder im Keller.
Die zweite grosse Proteinquelle sind laut Mathys Insekten, die in vielen Teilen der Welt zum traditionellen Speiseplan gehören.
Echter falscher Käse
Raffael Wohlgensinger vom Start-up Legendairy Foods plant trotz der guten Ökobilanz der Milchkühe, Milchprodukte künstlich herzustellen. Und zwar sollen die Produkte aus den exakt gleichen Proteinen zusammengesetzt sein, wie herkömmliche Kuhmilchprodukte. Dazu wird die DNA, die für die Produktion der Milchproteine kodiert, in Bakterien eingepflanzt. Die Bakterien scheiden dann dieselben Proteine aus, wie eine Kuh. Was die Bakterien aber nicht machen, ist Milch. Diese besteht schliesslich nicht nur aus Proteinen sondern auch aus Fetten, Mineralstoffen und Wasser. In weiteren Verfahren werden die Milchprodukte deshalb so verarbeitet, dass beispielsweise ein Käse entsteht, der geschmacklich aber auch von der Konsistenz her nicht vom Original unterscheidbar sein soll.
Die Rolle der Bauern
Die Landwirtschaft, da sind sich alle Forschenden einig, wird nie überflüssig. Selbst wenn die Tierbestände reduziert werden sollen, bleibt die Produktion von Nahrungsmitteln immer noch in den Händen der Bauern. Verändern wird sich die Landwirtschaft aber trotzdem. Raffael Wohlgensinger Gründer des Start-ups Legendairy Foods stellt sich die Landwirte der Zukunft als Produzenten von Nährmedien für die Bakterien vor, die wiederum die Milchproteine für den Käse herstellen. Andere Fachleute gehen weniger weit. Dass es in der Schweiz gar keine Kühe mehr geben soll, sei unrealistisch. Schliesslich tragen die Tiere nicht nur zur Produktion von Nahrungsmitteln, sondern auch zur Landschafts- und Imagepflege bei. Man stelle sich nur die enttäuschten Touristen vor, wenn keine Kühe die Schweizer Bergwelt zieren würden. Echtes Rindfleisch hingegen soll durch die reduzierte Produktion ein Luxusprodukt werden.