Jürg Hess ist seit dem 3. April neuer Präsident des Schweizer Obstverbandes (SOV). Er folgt auf Bruno Jud, der sein Amt nach acht Jahren abgab. Hess führt in Roggwil einen nach eigenen Aussagen «typischen Thurgauer Landwirtschaftsbetrieb» mit Milchwirtschaft, Obstbau und Ackerbau. Die BauernZeitung hat den neuen SOV-Präsidenten auf seinem Hof mitten in Mostindien zum Interview getroffen.

BauernZeitung: Herr Hess, Ihre Wahl zum Präsident des Schweizer Obstverbandes erfolgte unter besonderen Umständen, nämlich schriftlich. Wie kam es dazu?

Jürg Hess: Die ordentliche Delegiertenversammlung hätte am 3. April stattfinden sollen. Wir sahen dann, das dies wegen der Corona-Krise nicht möglich sein wird. Gleichzeitig wollten wir als Verband möglichst rasch wieder handlungsfähig sein und das Geschäftsjahr 2019 abschliessen. Darum entschied sich der Vorstand in dieser ausserordentlichen Situation, nach dem Einverständnis aller Delegierter, diese Delegiertenversammlung mit all den dazugehörigen Geschäften schriftlich abzuhalten.

Sie übernehmen das Präsidium in einer schwierigen Zeit. Was motiviert Sie?

Die Aufgaben gehen einem sicher nicht aus. Einerseits haben wir gerade die Corona-Krise, wobei die Landwirtschaft zum Glück nur in gewissen Bereichen betroffen ist. In unserem Sektor läuft es relativ gut. Auf der anderen Seite sind da die beiden Pflanzenschutz-Initiativen, die im Moment etwas in den Hintergrund gerückt sind.

Ich kenne den Obstverband relativ gut. 1993 trat ich in die erste Kommission ein, dazumal die Preiskommission im Obstbereich, die sich um die Markt- und Preissituation kümmerte. Vor acht Jahren wurde ich in den Vorstand und zum Vizepräsidenten gewählt. Ich kenne den Verband und seine Aufgaben. Als praktizierender Landwirt, der mit Leib und Seele in der Branche steht und das Einkommen aus der Produktion erwirtschaftet, kenne ich die Problemstellungen der Obstbranche. Gerne möchte ich hier meinen Beitrag leisten, um die anstehenden Herausforderungen anzugehen und zur Lösungsfindung beizutragen.

Welche Ziele haben Sie für den SOV?

Kurzfristig geht es darum, die Arbeiten und Projekte, die aufgegleist sind, weiterzuführen. Ganz aktuell ist das Vernehmlassungspaket zur Agrarpolitik 2022+. Die Produktionssystembeiträge sind grundsätzlich im Sinne der Obstbranche. Gleichzeitig sind wir daran, den ganzen Marketingbereich und die Kommunikation neu aufzugleisen, mit einem neuen Auftritt und neuen Werbepartnern. Der Startschuss sollte am Tag des Apfels fallen. Dafür wird es wohl nicht reichen, weil die ganzen Drehs auf Eis gelegt sind.

Beschäftigen werden uns auch die Trinkwasser- und die Pestizidverbots-Initiative, die voraussichtlich erst in einem Jahr zur Abstimmung kommen. Das wird uns in der letzten Phase für die Aufklärungsmassnahmen und den Abstimmungskampf noch einmal recht in Anspruch nehmen.

Und mittelfristig?

Wir haben vor einiger Zeit die Taskforce Pflanzenschutz gegründet. Der SOV will und muss in Zukunft wieder klar den Lead im Thema Pflanzenschutz im Obstbau besetzen. Wir möchten aktiv zu diesem Thema an der Zukunft mitgestalten und auch mitbestimmen und nicht immer im Nachhinein reagieren müssen. Im Weiteren soll auch die Forschung in unserem Bereich nicht vernachlässigt werden. Wir brauchen unbedingt eine auf die Fragen der Praxis abgestimmte Forschung. Aus diesem Grund laufen mit verschiedenen Partnern Arbeiten zur Gründung eines Kompetenzzentrums Obstbau.

Kommen wir noch einmal auf die Corona-Krise zu sprechen. Die Nachfrage nach Schweizer Früchten ist gross, der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln ist plötzlich kein Thema mehr.

Wir stellen erfreut fest, dass Regionalität wieder einen hohen Stellenwert hat. Die Verkaufszahlen beim Obst sind in den letzten Wochen markant angestiegen. Pflanzenschutzmittel sind in der Tat ins Hintertreffen geraten. Wir dürfen uns aber keine Illusionen machen, diese Diskussionen werden wieder kommen. Sie sind auch wichtig, sofern sie sachlich und sachbezogen bleiben.

Pflanzenschutzmittel schützen – wie es ihr Name schon sagt – unsere Kulturpflanzen. Dahinter stehen aber auch Themen wie Ertragsicherheit, Versorgungssicherheit oder das Verhindern von Food Waste. Man muss wissen, eine  Tafelobst-Produktion für den Gross- oder Detailhandel ist weder im Swiss Garantie noch im Biobereich ohne Pflanzenschutzmittel möglich. Die Abstimmungen werden ihre Spuren hinterlassen, so oder so.

Aber Sie haben jetzt mit der Versorgungssicherheit schon ein starkes Argument, das Ihnen in die Hände spielt.

Wir hoffen natürlich, dass die Nachfrage nach einheimischen, regionalen Produkten anhält. Es ist ein Bewusstsein für heimische Nahrungsmittel entstanden. Wir glauben schon, dass uns das in die Hände spielt und hoffen, dass dieser Trend anhält.

Wie bringen Sie Ihren Betrieb und das Verbandspräsidium unter einen Hut?

Mit einer guten Organisation. Ein Verbandspräsidium ist ein planbares Amt, man muss einfach organisieren können. Das bedeutet, das Machbare vom Wünschbaren trennen und sich Unterstützung  zu holen. In Form von Mitarbeitern, Erntehelfern oder durch überbetriebliche Zusammenarbeit z. B. mit Lohnunternehmern.

Sie waren und sind in verschiedenen Organisationen tätig. Unter anderem waren Sie im Verwaltungsrat der Landwirtschaftlichen Kreditkasse GLIB und präsidieren den Verwaltungsrat der Landi Oberthurgau. Brauchen Sie das ein bisschen?

Ja, ich habe schon einiges gemacht. Diese Tätigkeiten, mit verschiedenen Leuten Lösungen zu erarbeiten, reizen mich.

Wo sehen Sie den SOV in zehn Jahren?

Der SOV wird noch vermehrt als Ansprechpartner für die verschiedenen Interessensgruppen wahrgenommen werden. Sei das bei Fragen um Anbautechnik, aber auch als kompetenter Ansprechpartner in Bezug auf politische Rahmenbedingungen, z. B. wenn es um Zulassungen für neue Pflanzenschutzmittel geht. Gerade im Pflanzenschutz wollen wir als Branche wieder die Themenführung übernehmen. Der SOV wird sich den neuen Fragestellungen anpassen müssen, aber er wird auch in zehn Jahren der Branchenverband für Obstbauern und Obstverarbeiter sein – hoffentlich immer noch so hochprofessionell wie heute.

Schlussfrage: Welches ist Ihr Lieblingsapfel?

Der Magic Star, eine Club-Sorte, oder der Sweet Tango, ein Apfel mit Crunch. Gala ist zwar die am meisten angebaute und verkaufte Sorte, mir schmeckt der Gala aber zu langweilig.

 

Zur Person

Jürg Hess ist 55 Jahre alt, verheiratet und Vater von drei erwachsenen Kindern. Er führt in Roggwil TG einen gemischten Betrieb mit 14 ha Tafelkernobst, 10 ha Ackerbau und 40 Milchkühen. Auf dem Betrieb arbeiten nebst Jürg Hess und seiner Frau Corinne ein bis zwei Lehrlinge sowie saisonal zwei Teilzeitangestellte und diverse Erntehelfer.