Land ist knapp und begehrt im Aargau. Und nun kommt mit der Gewässer-Initiative eine weitere, gross dimensionierte Forderung auf den Tisch: Die Unterschriften seien gesammelt, die Initiative werde demnächst eingereicht, erklärte Matthias Betsche, Geschäftsführer von Pro Natura Aargau, am Liebegger Agrarpolitikabend vor einer Woche.
Feuchtgebiete als vernachlässigte Hotspots
An der Liebegg wurden Pro und Kontra der Initiative diskutiert, die innert zwanzig Jahren die Schaffung neuer Feuchtgebietsflächen im Kanton Aargau zur Stärkung der Biodiversität fordert. Feuchtgebiete seien unverzichtbare Hotspots der Biodiversität, aber in der Vergangenheit vernachlässigt worden, begründete Matthias Betsche.[IMG 2]
Die potenziellen Flächen zur Wiedervernässung sind mehrheitlich Fruchtfolgeflächen (FFF). Der Initiativ-Text nennt weder Zahlen noch Massnahmen; Die Aargauer FDP-Fraktion fordert in einer Motion parallel zur Initiative mindestens 1000 Hektaren. Matthias Betsche könnte sich vorstellen, die Hälfte davon im Wald anzulegen, den Bauern blieben also noch 500 Hektaren.
Für Christoph Hagenbuch, Präsident des Bauernverbands Aargau (BVA), würde die Gewässer-Initiative Wertschöpfung, Arbeitsplätze und Existenzen vernichten. «Wir sind für Biodiversität, aber am richtigen Ort und sicher nicht zulasten der Nahrungsmittelproduktion.» Bevor neue Naturschutzgebiete geschaffen würden, müssten die bestehenden gepflegt werden, verwies er auf Flächen, die von Neophyten überwuchert sind.
Investitionen in Betrieb wären verloren
Mitten in einem potenziellen Regenerationsgebiet liegt der Betrieb von Matthias Haldimann aus Seon, der an der Liebegg seine Sorge kundtat. «Alles, was ich in meinen Betrieb investiert und aufgebaut habe, würde zum grössten Teil zunichte gemacht.» Heute habe seine Familie mit der Milch ein Auskommen, wenn er die betroffenen Flächen extensivieren müsste, könne er den Betrieb bestenfalls noch im Nebenerwerb führen. Nicht nur Ackerbau, auch die Weidewirtschaft und Futterbeschaffung würden zum Problem.
Beim zweiten Landwirt am Podium, Thomas Baumann aus Suhr, klingeln nicht gleich die Alarmglocken bei ökologischen Anliegen. Sowohl Nahrungsmittel als auch Biodiversität seien gefragte Produkte. Auf seinem Betrieb in Stadtnähe ist Biodiversität ein wichtiger Betriebszweig. Er könnte sich beispielsweise eine überbetriebliche Aufgabenteilung vorstellen. «Die Bauern spezialisieren sich heute – das ist auch bei Biodiversität sinnvoll.»
Labiola als Ansatz zur Umsetzung
Matthias Betsche nannte den Labiola-Ansatz als Wunschvorstellung zur Umsetzung der Initiative auf dem Kulturland. Mit diesem Programm treffen Aargauer Landwirtinnen und Landwirte ökologische Massnahmen auf freiwilliger Basis und erhalten dafür Förderbeiträge. Die Finanzierung der Gewässer-Initiative ist allerdings offen. «Sicher nicht aus dem Agrarbudget», so der bäuerliche Standpunkt.
«Die Massnahmen müssten für die Bauern freiwillig sein»
Der Präsident des Bauernverbands Aargau, Christoph Hagenbuch, nimmt nach der Diskussion am Liebegger Agrarpolitik-Anlass Stellung.
Welche Chancen geben Sie der Gewässer-Initiative bei einer Abstimmung; Umweltschutzverbände bis zu bürgerlichen Kreisen sind ja dafür?
Christoph Hagenbuch: Das Stimmvolk hat die letzten drei Agrar-Initiativen abgelehnt, die zu einem starken Abbau der inländischen Produktion geführt hätten. Die anhaltende Welthungerkrise und der Ukraine-Konflikt stärken diese Haltung sicher weiter. Und spätestens dann, wenn die Rechnung auf dem Tisch liegt, müssen befürwortende Politikerinnen und Politiker ihre Position überdenken. Wir reden von rund 5 bis 15 Millionen Franken jährlich wiederkehrenden Kosten für 1000 Hektaren Feuchtgebiete. Einerseits geht auf vernässten Flächen Wertschöpfung verloren, andererseits müssen sie gepflegt werden. [IMG 3]
Wie geht die Landwirtschaft mit der unpopulären Rolle um, quasi «gegen» Biodiversität zu argumentieren?
Wir sind nicht gegen Biodiversität, die Landwirtschaft ist jene Branche, die in den vergangenen Jahren am meisten dafür getan hat. Auf vielen Flächen produziert sie ja beides, Biodiversität und Nahrungsmittel. Aber wir müssen den Menschen klarmachen, dass grundsätzlich ein Zielkonflikt besteht zwischen Nahrungsmittelproduktion und Extensivierung und dass sie nicht alles haben können.
Übrigens habe ich mich gefreut, wie zivilisiert die Bäuerinnen und Bauern sich am Agrarpolitikabend verhalten und argumentiert haben, obwohl es um Existenzen geht.
Matthias Betsche nannte den Labiola-Ansatz als ideales Instrument zum Ausbau der Feuchtgebiete. Wie sehen Sie das?
Unter bestimmten Voraussetzungen: Die Massnahmen müssten für die Bauern freiwillig sein und dürften nicht aus dem aktuellen Labiola-Kredit bezahlt werden. Der ist für Leistungen bestimmt, die bereits erbracht werden, und wer mehr bestellt, muss mehr bezahlen. Und die Vernässungen sollen nicht auf Fruchtfolgeflächen stattfinden.
Kommentar: So kommt es nie zum Dialog
Die Unterschriften für die Gewässer-Initiative im Aargau sind gesammelt. Der Kanton soll Feuchtgebiete für mehr Biodiversität schaffen – der unbestimmt gehaltene Initiativtext findet Zustimmung. Das erinnert an frühere Agrar-Initiativen mit ehrenwerten Zielen, aber ohne mehrheitsfähige Lösungsansätze.
Und so stehen sich Umweltverbände und die Mehrheit der Bauern wieder als Gegner gegenüber. Am Liebegger Agrarpolitik-Anlass betonte Pro-Natura-Geschäftsführer Matthias Betsche seine Dialogbereitschaft, es sei das Beste, mit den Bauernfamilien gemeinsam Lösungen zu erarbeiten. Diese beweisen tatsächlich immer wieder, dass sie Anliegen der Gesellschaft umsetzen. Anfänglich vielleicht nicht euphorisch, dann aber zuverlässig und zielgerichtet, wenn sie realistische Wege sehen.
Doch gerade Pro Natura hat bei den Aargauer Bauernfamilien schon einiges Geschirr zerschlagen, fällt nicht durch Dialogbereitschaft, sondern durch Einsprachen und Beschwerden auf. Die Landwirtschaft könnte eine wertvolle Verbündete der Umweltverbände sein. Doch die lassen dieses Potenzial brachliegen, wenn sie bei jedem Kontakt zuerst die Muskeln spielen lassen. So kommt es nicht zum Dialog.