«Ich war 14 Jahre alt, als ich Stephan zum ersten Mal sah. Da passierte etwas in und mit mir», erinnert sich Beatrice Hengartner-Probst vom Hof Hesselberg in Oensingen SO. «Ich war verliebt. Das Glücksgefühl, das mich befiel, ist auch nach all den Jahren noch genauso präsent.»
Der damals 28-jährige Meisterlandwirt Stephan Hengartner, der auf dem Ruttigerhof in Olten aufgewachsen ist, bemerkte allerdings nicht, dass da ein Schulmädchen seinetwegen oft in die «Cheesi» kam. Er lacht: «Ich hatte im Alleingang den Pachthof in der voralpinen Bergzone übernommen und andere Interessen und gar Sorgen. Das Bauernhaus war in schlechtem Zustand, ohne Badezimmer und die Küche russschwarz.» Er wollte zuerst Haus und Hof auf Vordermann bringen und erst dann auf Brautschau gehen.
Heimlicher Schwarm
Beatrice Hengartner beendete die Schule und absolvierte eine Lehre beim Postscheckamt als Buchhalterin. Heimlich schwärmte sie weiterhin für Stephan. Da sie nicht aus einer Bauernfamilie kommt, entschied sie sich für ein bäuerliches Haushaltungslehrjahr und besuchte anschliessend die Bäuerinnenschule am Wallierhof.
Sie trat der Trachtengruppe Oensingen und dem Katholischen Kirchenchor Oensingen bei und sah endlich ihren Angebeteten wieder. Nun wurde er auf die junge Frau aufmerksam – und es funkte.
Die beiden heirateten 1999 und bekamen vier Kinder. Im Jahr 2000 konnten sie den Hesselberg-Hof kaufen, den sie nach IP-Suisse-Regeln betreiben. Sohn Matthias (23) hat unlängst die Betriebsleiterschule erfolgreich abgeschlossen.
Er würde den Hof gern übernehmen. Allerdings stellt sich ein «externes» Problem. Wegen der Renaturierung der Dünnern im Bad Klus und dem Autobahnausbau verliert Familie Hengartner ihr gesamtes Pachtland. Sie wissen momentan nicht, ob die zukünftige Situation Matthias noch eine Existenz bieten kann.
Tochter Caroline (21) absolvierte die Fachmatura mit Schwerpunkt Pädagogik. Ihre jüngere Schwester Tanja (19) hat soeben die gymnasiale Matura geschafft. «Die beste im Kanton Solothurn», erwähnt ihre Mutter mit Stolz, «mit Note 5,81». Die Tochter hat sich an der ETH Zürich für Maschinenbau eingeschrieben. Jan (14), der Jüngste, weiss noch nicht, welchen Beruf er ergreifen möchte.
Fünf Fragen
Welches ist Ihr Lieblingsplatz?
Ein schattiges Plätzchen in meinem Blumengarten.
Von welchem Erlebnis erzählen Sie immer wieder?
Von jenem Moment, als ich Stephan das erste Mal erblickte.
Wie belohnen Sie sich selbst?
Ein Buch lesen. In der Küche etwas Neues ausprobieren, zum Beispiel für «Geschenke aus der Küche».
Wohin würden Sie gerne reisen?
Ans Meer, um in die Ferne zu schauen. Zu Hause fehlt mir manchmal die Weitsicht.
Welches ist Ihr Lieblingslied – und warum?
«Bärgandacht» von Melanie Oesch und Francine Jordi. Die Melodie und der Text gefallen mir.
Briefe flicken
Das Leben auf dem 550 Meter über Meer gelegenen Hesselberg war für Beatrice und Stephan Hengartner nicht immer einfach. Beatrice nahm eine auswärtige Stelle an, weil es sonst nicht gereicht hätte für die sechsköpfige Familie. Seit 15 Jahren arbeitet sie in einem 50-Prozent-Pensum im Briefzentrum Härkingen. Seit drei Jahren gehört sie zum Team der «Briefklinik». Das Team repariert die im Labyrinth der Förderbänder beschädigten Briefe und ermitteln die rechtmässigen Empfängerinnen und Empfänger. «Oft eine knifflige Arbeit», schmunzelt sie.
Stephan Hengartner führte den Milchwirtschaftsbetrieb bis vor einem Jahr allein. Jetzt unterstützt ihn sein Sohn Matthias. Er hält auf knapp 30 Hektaren eigenem und Pachtland 25 Kühe und rund 15 Jungtiere und pflanzt je eine Hektare Mais und Urdinkel an. Die 30 alten Hochstammbäume liefern Obst für den Eigenverbrauch. Der riesige Bauerngarten dient der Bäuerin nicht nur als Erholungsort, sondern gibt auch genug Gemüse und Beeren her für die Selbstversorgung.
Aktiv im Verein
Seit Jahren engagieren sich Hengartners bei der Katholischen Bauernvereinigung des Kantons Solothurn. Beatrice Hengartner ist Kassierin beim Kantonalverein und Vorstandsmitglied bei der Sektion Gäu. Ihren Hobbys im Trachtenverein und im Kirchenchor frönt das Paar bis heute. Früher reiste Beatrice oft nach Rom, wo ihr Bruder über 20 Jahre bei der Schweizergarde diente. Noch heute schwärmt sie von den Besuchen in der Vatikanstadt, wo sie dank der Beziehung zu ihrem Bruder hinter die Kulissen schauen konnte.
Erkrankung mit Folgen
Doch zurzeit ist Beatrice gesundheitlich angeschlagen. Trotz Impfung und Booster wurde sie im Frühling letztes Jahr von Corona getroffen und leidet seither unter Long Covid. «Ich spüre wie andere Betroffene eine grosse Müdigkeit, leide unter geringer Belastbarkeit bei körperlicher und geistiger Anstrengung, und es befallen mich Denk- und Konzentrationsstörungen», erläutert sie ihren Zustand.
Dazu kämen gelegentliche Panikattacken, weil sie fürchte, der Leistungsgesellschaft nicht mehr zu genügen. «Dank der grossen Unterstützung und dem unendlichen Verständnis von meinem Mann und den Kindern bin ich trotzdem zuversichtlich, dass sich mein Gesundheitszustand bald bessern wird», gibt sie sich hoffnungsvoll, und ergänzt: «Am wohlsten ist mir im Kreis meiner Familie.» Überhaupt, meint sie, solange Stephan loyal an ihrer Seite stehe, sei alles nicht so schlimm. «Er ist in jeder Situation für mich da.»