Helena Wettstein hat das gewagt, was nur wenige Frauen in der Schweiz wagen. Sie hat drei von ihren vier Jungs zu Hause geboren. Sie blickt zurück auf dreieinhalb Hausgeburten. Warum dreieinhalb Hausgeburten erklärt Helena Wettstein so: Ihr zweiter Sohn lag in Steisslage und musste per Kaiserschnitt geholt werden. Das Wochenbett hat sie kurz danach zu Hause bezogen. Einige nennen es mutig, dass sie sich überhaupt und dazu noch nach einem Kaiserschnitt entschied, zu Hause zu gebären. Für Helena Wettstein ist es die natürlichste Sache der Welt.
Die Idee von der Hausgeburt
Für Helena Wettstein war schon früh klar, dass sie zu Hause entbinden möchte. Noch bevor sie schwanger war, las sie in einem Magazin von Dr. Stutz einen Bericht rund um dieses Thema. Sofort war ihr klar: «Das ist total meins.» Die Bäuerin erinnerte sich, dass bereits ihre Mutter gute und schnelle Geburten hatte. «Da wusste ich, das kann ich auch», war sie überzeugt. Man hat ihr gesagt, sie sei mutig. Doch so hat es Helena Wettstein nie empfunden. Es war kein Mut, sondern ihr mütterlicher Instinkt und ihr Vertrauen in ihren Körper, die es ihr erlaubten, ganz offen und voller Überzeugung diese Hausgeburten anzutreten.
Auch ihr Mann war für diese Idee zu begeistern, jedoch nur, wenn sie die entsprechende Hebamme finden würde. Und als sie später zum ersten Mal schwanger wurde, fand sie mit Susanna Diemling die passende Hebamme für ihr Vorhaben.
Die Freundin auf Zeit
Susanna Diemling ist mit über 35 Jahren Berufserfahrung wohl eine der bewandertsten Hebammen, wenn es um die Hausgeburt geht. Für Susanna Diemling war direkt nach der Ausbildung zur Hebamme klar, dass sie ausschliesslich ausserklinische Geburten begleiten möchte. Fast jahrzehntelang war sie die einzige Hebamme in der Umgebung, die Hausgeburten anbot. Bislang durfte sie über 800 Geburten begleiten. Sie sei froh, dass es inzwischen mehr Kolleginnen gebe, die es auch anbieten. Denn die Wege, die sie auf sich hätte nehmen müssen, wären kaum mehr machbar gewesen. Vor allem, wenn eine Geburt über mehrere Stunden andauerte. So ist Susanna Diemling froh, kann sie sich auf Geburten in ihrer näheren Umgebung konzentrieren.
Situation richtig einschätzen
Zusätzliche Risiken in einer Hausgeburt sieht die erfahrene Hebamme nicht. Brenzlig wurde es in all den Jahren nie. «Ich habe stets schon vorher gehandelt, dass es nie zu einer schlimmeren Situation gekommen ist. Man lernt die Situationen einzuschätzen und handelt dementsprechend», erklärt sie im Gespräch mit der BauernZeitung. Natürlich ist die frühe Intervention auch ein Selbstschutz für die Hebamme, denn gerade, wenn es um Menschenleben, geschweige um Babys geht, möchte man keine grösseren Risiken eingehen. Würde man fahrlässig handeln, könnte man auch seine Zulassung verlieren – genau wie bei den Ärzt(innen) auch.
«Die Vorsorge sollte beim Arzt und der Hebamme stattfinden.»
Susanna Diemling, begleitet als Hebamme auch Hausgeburten.
«Natürlich ist ein guter Gesundheitszustand der Gebärenden und des Babys eine wichtige Voraussetzung. Jede Frau wird gründlich durchgecheckt und es werden einige Gespräche geführt. Die Schwangerschaftsvorsorge sollte in Abwechslung beim Arzt und bei der Hebamme stattfinden. Gespräche sowie Untersuchungen. Die Ausgangslage einer gesunden, normalgebärenden Frau ist im Spital und zu Hause genau dieselbe, nur dass sie zu Hause in ihrer gewohnten und vertrauten Umgebung ist», führt Susanna Diemling weiter aus.
Wenig Hausgeburten
In der Schweiz finden knapp zwei Prozent der Geburten ausserklinisch statt, das heisst zu Hause oder in einem Geburtshaus. Seit 2017 befindet sich auf dem Areal des Kantonsspitals Aarau ein Geburtshaus. Die Nähe zum Spital und die enge, unkomplizierte Zusammenarbeit erhöhen die Sicherheit, da die Wege sehr kurz sind. So haben die Zahlen der ausserklinischen Geburten im Kanton Aargau leicht zugenommen. «Das Bedürfnis der Frau ist es, möglichst natürlich zu gebären, aber in der Nähe von Unterstützung. Diese Sicherheit bieten vor allem Geburtshäuser», erzählt die Hebamme.
Frauen wissen mehr
«Frauen haben sich in den vergangenen Jahren verändert. Vor allem in ihrer Art», findet Susanna Diemling. Die Ansprüche und Begehrlichkeiten, aber auch das Konsumverhalten hätten sich allgemein verändert. Es gibt zum Thema Schwangerschaft unzählige Kurse und oft beziehen die Frauen ihr Wissen aus dem Internet. «Vielfach meinen sie mehr zu wissen als ich», sagt Susanna Diemling augenzwinkernd. Doch ihre Erfahrung und Fachkompetenz kann Google kaum schlagen. «Zum Gebären reichen grundsätzlich das Vertrauen in sich, die Natur und den weiblichen Körper. Es braucht eine stinknormale Normalität, eine gewisse Bodenhaftung», teilt Diemling im Gespräch mit. Zudem sorgen die vielen Informationen aus dem Internet vielfach für Verunsicherungen. Das kann gefährlich werden. Denn ist der Kopf blockiert, fällt es schwieriger, auf seine Instinkte und Intuition zu hören.
Geborgen zu Hause
Zu Hause fühlt man sich geborgen, sicher und gut aufgehoben. Die Frauen sind meist ruhiger und fühlen sich weniger gestresst. Das bestätigt auch Helena Wettstein. Ihr Mann, ein Landwirt, war bei zwei Geburten in der Hochsaison am Arbeiten. Er war auf dem Feld und presste Siloballen, während bei Helena die Presswehen einsetzten. Dass sie nicht noch in ein Spital hetzen musste, brachte viel Ruhe in den Geburtsablauf. Überhaupt waren ihre Geburten stets schnell und komplikationslos. Ihr dritter Sohn war dermassen schnell, dass die Schwiegermutter als Hebamme und Partnerersatz herhalten musste. Beide haben es in der kurzen Zeit nicht zu Helena ins Haus geschafft. Immerhin vergingen vom Anruf an den Ehemann bis zur Geburt von ihrem dritten Sohn knapp zwanzig Minuten. «Ich rief ihn nach der Geburt erneut an und teilte ihm mit, dass er nicht hetzen muss, der Kleine sei bereits hier», führt die Bäuerin aus.
Über die Unterstützung ihrer Schwiegermutter war sie, trotz der schnellen und unkomplizierten Geburt, froh. Ihre Schwiegermutter gab ihr zu verstehen, dass sie genau wusste, was sie in diesem Moment durchmachte. Dieser Zuspruch war tröstlich und bestärkend.
«Frauen gehören nach der Geburt in eine gewisse Ruhe.»
Susanna Diemling zum Thema Wochenbett.
Wichtiges Wochenbett
Nach der Geburt folgt das Wochenbett, doch die heutige Zeit scheint zu sehr leistungsorientiert. Das hilft weder beim Gebären noch im Wochenbett. «Frauen werden zu früh nach Hause geschickt. Dabei gehört die Mutter in eine gewisse Ruhe für mindestens zehn bis vierzehn Tage», betont Diemling. Doch scheinbar ist das in der schnelllebigen Zeit nicht mehr modern, gar altbacken. Helena Wettstein hat nach dem Kaiserschnitt ihr Wochenbett zu Hause nachgeholt. Sie empfindet den Unterschied von der Hausgeburt und einer Spitalgeburt folgendermassen: «Sobald du vom Spital entlassen wirst, musst du wieder funktionieren. Es wird wie erwartet, – denn du wurdest ja entlassen. Wenn du zu Hause gebärst, dann erwartet niemand etwas von dir. Du bist etwas ganz Besonderes. Es ist eine ganz andere Stimmung.»
«Sobald du aus dem Spital kommst, musst du funktionieren.»
Helena Wettsein über die Erwartungen nach der Entlassung.
Beckenboden schonen
Beide Frauen bestätigen, dass das Wochenbett gerade für den Beckenboden eine wichtige Erholungsphase ist und möchten ermutigen, in der Zeit danach, ein richtiges Beckenbodentraining zu besuchen. Denn eine der Hauptspätfolgen bei zu wenig Pflege nach einer Geburt ist Inkontinenz. So legen die beiden ans Herz, sich nach der Geburt gut zu erholen, nicht sofort alles wieder machen zu wollen und den Haushalt mal stehen zu lassen. Der Beckenboden ist zu schonen und sollte nach sechs bis acht Wochen nach der Geburt langsam wieder trainiert werden. Dafür empfiehlt Susanna Diemling darauf zu achten, dass das Rückbildungsangebot wirklich auf Beckenbodentraining spezialisiert ist.
Verbindung bleibt
Die Frauen sind sich nicht nur beim Thema Wochenbett einig. Sie sehen in der Hausgeburt vor allem einen wichtigen Vorteil und zwar, dass die Hebamme eins zu eins für die Frau und Familie da ist. Es findet kein Schicht- und somit auch kein Personalwechsel statt. Die Hebamme ist eine Vertraute und weiss über die Gebärende bereits sehr gut Bescheid. Sie ist eine Freundin auf Zeit. Und obwohl sich die zwei Frauen gut zehn Jahre nicht gesehen haben, merkt man die Verbindung, die wohl immer da sein wird. Sie lachen, als sie sich zurückerinnern, wie sie nach der Blitzgeburt des vierten Sohnes alle zusammen entspannt am Frühstückstisch sassen und Frühstück assen.