Ursina Stamm will der Autorin gleich das neuste Baby auf dem Birkenhof vorstellen. Höflich klopft sie an der Stalltür, ehe sie diese öffnet. «Guten Morgen», begrüsst sie die Mutter ruhig. Die Kuh dreht der jungen Frau in den Landi-Gummistiefeln und dem rot-karierten Hemd den Kopf zu; gewährt ihr Zutritt zu ihrem Kind.

Keine Bäuerin

Als Ursina Stamm für ein Bäuerinnen-Porträt angefragt wurde, protestiert sie. «Ich bin eigentlich keine Bäuerin.» Sie sehe sich eher als Frau vom Bauer. Eine Bäuerin hätte eine bäuerliche Ausbildung oder arbeite zumindest voll auf dem Hof. Ursina Stamm ist zu 100 Prozent als Kindergärtnerin tätig. Erst seit Mai wohnt sie mit Ehemann Simon Stamm auf dem Betrieb ausserhalb von Schleitheim SH. Zusammengebracht hatte die zwei die Kinderarbeit ihrer Kirche. Von Anfang an war der Jungscharleiterin klar, eine feste Beziehung mit Simon gebe es nur, wenn sie bereit sei, gemeinsam mit ihm auf den Hof zu ziehen.

Die Hofübernahme erfolgte unerwartet schnell. Simons Vater hatte eine Stelle als Buschauffeur angetreten. «Es ist schon happig, gleich 100 Prozent auf einem Hof einzusteigen», sinniert Ursina Stamm. «Im Nachhinein denken wir, es war gut so.» Der freigiebige Rat und die Hilfe der Schwiegereltern trugen massgeblich dazu bei, dass der Übergang so gut funktionierte. Ob der Umzug auf den Hof nicht eine grosse Umstellung war? Ein herzliches Lachen bricht heraus. «Es braucht einfach mehr Essen, da Simon immer zu Hause ist für die Mahlzeiten! Ich freue mich, dass wir einander jetzt mehr sehen.» Ursina Stamm geniesst es, vermehrt zusammen arbeiten zu können. Am Vortag gemeinsam die Geburt des Kälbleins zu erleben war ein starkes Erlebnis. Auch Ferien hat es seit der Übergabe sogar schon gegeben. «Die Leute sagten mir, du kannst dann nie mehr in die Ferien», so die Bauersfrau. «Ich dachte, also dann gehst du halt nie mehr. Das habe ich jetzt gar nicht so erlebt.»

Eigene Waschmaschinen

Sie bereitet Tee in der Küche zu, die schon ihre Schwiegermutter Elisabeth vor 35 Jahren bezog. Ein Brotbackofen gehört dazu. Sonst ist die Wohnung, welche zuvor den Schwiegereltern gehörte, luftig hell renoviert. Die Schwiegereltern wohnen jetzt im oberen Stock, dort wo deren Schwiegereltern schon waren. Eine klassische Hofkonstellation. «Alle sagten mir, das wird schwierig, auch zu Elisabeth sagten sie das. Aber für uns stimmt es.» Ursina Stamm giesst den Tee in weisse Tassen mit goldenen Tüpfchen und setzt sich hin. Die gute Stimmung unter den Birkenhöflern sei das Resultat vieler offener Gespräche. Zum Beispiel besitzen Ursina und Elisabeth Stamm je eine eigene Waschmaschine. «Das ist ein Reibungspunkt weniger im gemeinsamen Alltag», erklärt Ursina Stamm. Es seien eben diese kleinen Sachen, die das Leben erleichtern. Ursina machte ihre Erfahrungen in einer Block-wohnung. «Wenn jemand seine Wäsche macht, obwohl man es anders besprochen hat, ärgert das. Du sagst es aber meist nicht direkt.»

Das Alltagsgeschehen und aufkommende Entscheidungen werden gemeinsam als Team besprochen. Das gemeinsame Lernen während Simons zweiter Lehre als Landwirt, zahlt sich für Ursina Stamm jetzt aus. Der Betrieb ist ein Teil von ihr geworden: «Es ist mein Leben.» Manchmal hinterfragt sie etwas, was schon immer so gemacht wurde. «Es war mir wichtig, dass ich von Anfang an miteinbezogen war; dass ich nicht einfach da bin, und dann höre, wie es läuft.»

Hühnereier ausbrüten

Auf der Südseite des Hauses liegt ein umfangreicher Gemüse- und Früchtegarten. Eine Stunde hier zu verbringen nach einem Kindergartentag ist für Ursina Stamm eine Wohltat. Gemüse und Früchte hat sie schon lange nicht mehr eingekauft. «Das macht mega Freude, das gehört für mich zu einem Bauernhof.» Auf der anderen Seite des Hauses fallen Nussbaumblätter sanft auf den verlassenen Hühnerhof. Das soll sich im Frühling ändern. Dann will die Lehrerin mit ihren Kindergärtnern Hühnereier ausbrüten.

Die Hühner gehören zum Ziel, einen Teil der Tierhaltung zu übernehmen. Den Beruf als Kindergärtnerin will sie dabei nicht aufgeben. «Ich arbeite und bekomme meinen Lohn. Solange wir noch keine Kinder haben, macht es Sinn, dies so beizubehalten.» Es beschäftigt sie, dass das Einkommen des Landwirts dem Wetter, Preisschwankungen und Politik ausgeliefert ist. Auch die Unsicherheit in Bezug auf die Zukunft der Landwirtschaft gibt ihr zu denken. Sie sieht die Sicherung der Familienexistenz als grosse Verantwortung. «Diese möchte ich wahrnehmen und nicht einfach wegschauen und denken, das passt dann schon. Es ist etwas, wovor ich Respekt habe. Ich muss mir jetzt überlegen, wie wir damit umgehen.»

Die Schweizer bewegten sich in einer Zeit des Überschusses; ein Apfel dürfe keinen Makel zeigen. «Könnte es sein, dass die Schweiz wieder einmal eine andere Zeit erlebt?», fragt sich Ursina Stamm. «Ich bin schon gespannt. Was bringt uns die Zeit und die Welt?»