Ein freudvolles Lebensgefühl fördert unsere Gesundheit und wirkt sich positiv auf unsere Beziehungen aus. Doch Freude kommt nicht einfach so, jede Person muss daran arbeiten. Vor allem aus der Beraterperspektive kennt Ruedi Suter Freud und Leid der Bauernfamilien. Seine langjährigen Erfahrungen teilte er Mitte September 2023 am Herbstanlass des Bauernverbandes See-Gaster. Um die 50 Interessierte versammelten sich vor einer Woche im sankt-gallischen Bollingen. Unter ihnen fand man junge und erfahrenere Landwirte, Politisierende und auch einige Betriebsleiterinnen. Sie alle erhofften sich konstruktive Inputs zum Thema «Freude am Beruf erhalten – trotz Arbeitsbelastung, finanzieller Sorgen und Familienkonflikte».
Öfters mal innehalten
In seinem Referat setzte sich Ruedi Suter mit dem Begriff Freude auseinander: «Was ist das Erste und Wichtigste, das einem ein Bauer erzählt, wenn man auf den Betrieb kommt?» Oftmals würden der schöne Tierbestand oder der moderne Maschinenpark erwähnt. Gräbt man etwas tiefer, folgt die Zufriedenheit der glücklichen Familie oder die konfliktfreie Beziehung mit der Partnerin. Wohlstand, genügend finanzielle Altersreserven und gute Gesundheit sind ebenso Faktoren, die zu einem positiven Lebensgefühl beitragen. Die Freude am eigenen Tun ist nicht eine Gabe, die einem in den Schoss fällt. Man muss daran arbeiten. Ruedi Suter ermutigte seine Zuhörerschaft, öfters innezuhalten, «vor z Tenntürli z hocke» und sich zu selbst zu fragen: «Was tut mir gut?»
Keine Zeit haben
Dass vor allem Existenzängste, Krankheiten, Familienkonflikte und der administrative Druck sehr belastend für Betriebsleitende sind, wissen die Anwesenden aus eigenen Erfahrungen. Während seinen aktiven Jahren betreute Ruedi Suter bis zu 20 Scheidungen pro Jahr. Nun nähert er sich bereits der Pension und berät jährlich noch vier bis fünf Konflikte zwischen Ehepartner(innen). Scheidungen reissen Familien, Betriebe und soziale Kontakte auseinander. Sie sind besonders schmerzhafte und tiefgreifende Konflikte, weiss der Berater. Die grosse Mehrheit der Betroffenen geht nicht im böswilligen Streit auseinander, sondern mit der Begründung: «Eigentlich funktioniert alles. Doch wir haben einfach keine Zeit füreinander.»
«Es ist wichtig, dass wir spüren, wo unsere Grenzen sind», betonte der Berater und fügte an, dass vor allem Menschen in der Landwirtschaft dazu neigen, sich über Jahre im oberen Grenzbereich zu bewegen. Psychische Krankheiten wie Burn-out und Depressionen können die Folge sein. Gerne trifft es diejenigen, die von sich selbst behaupten, alles im Griff zu haben. Zum Schluss riet Ruedi Suter seinen Zuhörern: «Stellt nicht schon morgen alles auf den Kopf, Veränderung brauchen Zeit. Die Erfolgschancen sind höher, wenn ihr nicht alles auf einmal verändert.»
Interview
Warum ist die Thematik «Freude am Beruf» von grosser Wichtigkeit?
Petra Artho: In der Landwirtschaft haben wir lange Arbeitstage, sieben Tage die Woche. Natürlich ist die Motivation nicht jeden Tag gleich, doch ohne Freude am Beruf ist es auf Dauer sehr schwierig, den Alltag eines Landwirtschaftsbetriebes zu meistern. Die hohe Zahl an Lernenden zeigt aber, dass die Freude am Beruf Landwirt(in) auch bei den Jungen vorhanden ist.
Warum ist es wichtig, über Belastung im (Arbeits-)Alltag zu sprechen?
Bis heute ist es ein Tabu. Man hat Hemmungen, über das Thema zu reden. Geschweige denn, offen einzugestehen, dass die Belastungen zu hoch sind und man nicht mehr weiter weiss. In der Landwirtschaft ist es speziell, dass die Probleme vom Betrieb in die Familie getragen werden und umgekehrt. Dadurch wird der Druck auf Betriebsleitende noch verstärkt. Nach einer belastenden Woche können wir nicht denken, jetzt gehe ich ins Weekend und am Montag ist alles in Ordnung. Es geht immer weiter.
Welche Möglichkeiten haben Betroffene im Kanton St. Gallen?
Der St. Galler Bauernverband und die St. Galler Bäuerinnen bieten zusammen mit dem Landwirtschaftlichen Zentrum St. Gallen Salez ein Coachingangebot für Bauernfamilien in schwierigen Lebenslagen. Dazu gehört auch eine Plattform von ausgewiesenen Coaches, die alle landwirtschaftlichen Hintergrund vorweisen können, das ist uns wichtig. Damit das Angebot auch finanziell tragbar ist für die Familien, wird von den drei Organisationen ein Teil mitfinanziert. Zudem können wir mit unserem Betriebshelferdienst den Betroffenen eine Auszeit ermöglichen, in der sie wieder zu Kräften kommen können.
Wann wenden sich Betroffene an Sie?
Bis wir um Hilfe gebeten werden, ist meist schon sehr viel passiert und die Betroffenen stecken schon tief in der Krise. Das bedeutet, sie können ihren Alltag, ihr Leben, Arbeit und ihre Familie nicht mehr so gestalten, wie sie sich dies wünschen. Je früher reagiert wird, desto geringer ist das psychische Leiden (auch der Familien). In anderen Branchen wie beispielsweise der Pflege ist es bereits üblich, dass Angestellte sich bei Bedarf jederzeit mit Coaches austauschen können, um schwierige Situationen schneller und besser zu verarbeiten. Ich wünsche mir, dass diese Selbstverständlichkeit auch in der Landwirtschaft gelebt werden würde. Leider sind wir noch weit davon entfernt.[IMG 2]
