Im Jahr 2021 stieg die weltweite Nachfrage nach Milchprodukten im Vergleich zu 2020 um 3,2 %. Dieser Anstieg war deutlich höher als die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate im Zeitraum 2015 bis 2020 (2,6 %).
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Der Artikel wiederspiegelt die Lage auf den internationalen Milchmärkten. Der Grossteil der Feststellungen basiert auf den Ergebnissen einer Forschungskonferenz im vergangenen Mai. Deshalb sind die jüngsten Preisstürze auch in der Schweiz nicht vollumfänglich berücksichtigt. Diese Entwicklung zeigt, wie volatil die Märkte sind. Erst noch sonnte man sich im Corona-bedingten Preishoch, wobei die Produktionskosten die Freude stets relativieren. Nun muss sich zeigen, ob die aktuellen Korrekturen nur ein Zwischentief sind. Optimistisch stimmt die positive Einschätzung der Schweizer Chancen durch die Agroscope-Forscher.
Asien und USA als Motoren
Diese Entwicklung ist hauptsächlich auf zwei Faktoren zurückzuführen. Erstens führte das Wirtschaftswachstum in Asien in Verbindung mit dem positiven, gesunden Image von Milchprodukten bei den asiatischen Konsumenten zu einem weiteren Anstieg der Nachfrage aus dieser Region. Zweitens haben die staatlichen Fördermassnahmen in den USA zur Unterstützung der Konsumenten während der Covid-Pandemie die Nachfrage nach Lebensmitteln angekurbelt.
Allerdings stieg die weltweite Milchproduktion im Jahr 2021 nur um 2,9 %. Die Milchproduzenten sahen sich aufgrund strengerer Umweltvorschriften, ungünstiger Witterungsbedingungen und steigender Inflation mit schwierigeren Produktionsbedingungen konfrontiert, insbesondere in den grossen Exportländern. In der EU und Ozeanien war ein Rückgang der Milchproduktion um 1,3 % bzw. 0,5 % festzustellen. In Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Polen und Italien ging die Produktion um 1 bis 13 % zurück. Die Nettoimportländer wie China und Russland steigerten zudem ihre Produktion langsamer als im Vorjahr.
Die Verstärkung dieser negativen Trends bei der Produktionsentwicklung in vielen Regionen der Welt in der ersten Hälfte des Jahres 2022 scheint die Befürchtungen einiger Experten zu bestätigen, dass die weltweite Milchproduktion nicht mehr so schnell wachsen wird wie in der Vergangenheit.
Rekord bei 63 USD/100 kg
In den ersten vier Monaten des Jahres 2021 verzeichnete der IFCN-Weltmilchpreisindikator (s. Kasten) einen Aufwärtstrend. Im April erreichte er 47 USD/100 kg. Nach einem Rückgang während des Sommers auf 42 USD pro 100 kg im August 2021 begann der Preis wieder zu steigen und erreichte im April 2022 den neuen Rekordwert von 63 USD/100 kg, was umgerechnet ca. 67 Schweizer Franken entspricht.
Dieser sprunghafte Anstieg des Milchpreises lässt sich vor allem durch die Angebotsverknappung in Verbindung mit der starken Nachfrage erklären. Mitverantwortlich für die höheren Preise war ausserdem die steigende Inflation in vielen Regionen. Denn dadurch verteuerten sich die Inputpreise markant, insbesondere die Preise für Futtermittel, Treibstoffe und Energie. Im Jahr 2021 stieg der Weltfutterpreisindikator (s. Grafik) um 39 % gegenüber dem Vorjahr. Dadurch erhöhten sich die Kosten der Milchproduktion fast überall auf der Welt (im Durchschnitt um 10 %).
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Rentabilität nimmt ab
Es konnten zwar durch höhere Ab-Hof-Milchpreise grössere Einnahmen erzielt werden, diese vermochten jedoch die gestiegenen Kosten nicht zu kompensieren, was letztlich zu einer geringeren Rentabilität führte. Nur die Hälfte der 170 typisierten IFCN-Betriebe, die 89 % der weltweiten Milchproduktion abdecken, konnten im Jahr 2021 ihre vollen Kosten decken. Der Krieg in der Ukraine führte auch auf dem globalen Milchmarkt zu Turbulenzen.
Es bleibt unsicher, welche Mengen an Futtermitteln aus der Ukraine künftig exportiert werden können und wie teuer diese Futtermittel sein werden. Dies stellt derzeit eine der grössten Herausforderungen für den globalen Milchmarkt dar. Diese Unsicherheit und die mögliche Futtermittelknappheit könnten zu einem Rückgang des weltweiten Milchviehbestands und der Milchproduktion führen.
Die Milchwirtschaft sieht sich heute nicht nur mit Preisschocks und einer angespannten wirtschaftlichen Lage der Betriebe konfrontiert, sondern auch mit zunehmenden Unsicherheiten zu den Auswirkungen von politischen Instabilitäten, geopolitischen Konflikten, Klimawandel, Pandemien und neuen Umweltvorschriften.
Dieses höchst instabile Umfeld erschwert Vorhersagen über zukünftige Trends auf dem Weltmarkt für Milchprodukte, die das IFCN seit 2013 erstellt. Aus diesem Grund hat das IFCN seine Instrumente zur Vorhersage künftiger Entwicklungen auf dem Milchmarkt angepasst. Die datenbasierte Modellierung wird nun ergänzt durch qualitative Einschätzungen von Experten.
Die Trümpfe der Schweiz
Lange galt die Milchproduktion in der Schweiz infolge der hohen Kosten als nicht wettbewerbsfähig. Auch wenn die Produktionskosten der Schweizer Milchviehbetriebe weiterhin deutlich über denjenigen von Nachbarländern liegen, weist die Schweizer Milchwirtschaft in mehreren Bereichen Stärken auf, die sich im derzeitigen Kontext als Wettbewerbsvorteile erweisen.
So basiert die Milchproduktion in der Schweiz stark auf der Nutzung von nicht ackerfähigen Graslandflächen, was primär auf die klimatischen und topografischen Einschränkungen zurückgeführt werden kann. Diese Graslandflächen können von Wiederkäuern verwertet werden, womit die Milchproduktion kaum in Konkurrenz steht zur pflanzlichen Produktion für die direkte menschliche Ernährung.
Eine weitere Besonderheit der Schweizer Milchviehhaltung ist ihr geringer Einsatz von Kraftfutter im internationalen Vergleich, der je nach Betriebstyp im benachbarten Ausland 40 % (kleinere süddeutsche Betriebe) bis über 70 % (grössere italienische Betriebe) höher liegt. Dies ist auch dem ausgezeichneten hiesigen Futterbau und der damit verbundenen Tradition, Futterbaumischungen einzusetzen, zu verdanken.
Vorsprung bei Tierwohl
Eine zusätzliche Stärke der Schweizer Milchproduktion ist ihr Vorsprung im Bereich Tierwohl. Die graslandbasierte, naturnahe und tierfreundliche Milchproduktion ist nicht nur im Einklang mit den Erwartungen der Konsument(innen), sondern hat durch den vergleichsweise tiefen Einsatz von Kraftfutter oder Mineraldüngern auch ökonomische Wettbewerbsvorteile.
Zu guter Letzt zeichnet sich die Schweizer Milchwirtschaft durch die Produktion von besonders hochwertigen Produkten aus. Insbesondere Schweizer Käse kann hohe Preise auf dem Weltmarkt erzielen und ist im Ausland zunehmend gefragt. In den letzten zehn Jahren haben die Käseexporte mengen- bzw. wertmässig um 30 % bzw. 38 % zugenommen. Mittlerweile gehört die Schweiz wertmässig zu den 15 grössten Käseexporteuren.
Ein Paradigmenwechsel?
Sollten sich die International herrschenden Trends wie Verteuerung der Produktionsmittel, verschärfte Gesetzgebung in den Bereichen Umwelt und Tierschutz, aber auch Änderungen in den Erwartungen und allenfalls sogar im Kaufverhalten der Konsument(innen) durchsetzen, kann von einem Paradigmenwechsel in der globalen Milchwirtschaft gesprochen werden.
Die Schweizer Milchwirtschaft dürfte daraus gestärkt hervorgehen und eine neue Epoche einläuten, in der sie an Wettbewerbsfähigkeit hinsichtlich Kosten und Marktanteile deutlich dazugewonnen hat.
Das internationale Forschungsnetzwerk IFCN
Ein Teil des obenstehenden, von Agroscope verfassten Artikels basiert auf den Ergebnissen der 23. IFCN-Konferenz «Next Generation of Dairy Farming and Dairy Farmers», an der die Forschungsgruppe Unternehmensführung und Wertschöpfung von Agroscope teilgenommen hat. Die Konferenz hat Ende Mai 2022 stattgefunden. Deshalb sind die jüngsten Preisentwicklungen am Markt nicht vollumfänglich berücksichtigt.
Das IFCN (International Farm Comparison Network) ist ein internationales Forschungsnetzwerk, das wirtschaftliche Aspekte der Milchproduktion untersucht. Es stellt Daten, Analysen und Prognosen im Bereich der Milchproduktion, der Milchpreise und verwandter wirtschaftlicher Themen bereit. Ziel des IFCN ist es laut Agrocsope, zu einem besseren Verständnis der Milchproduktionssysteme und -märkte weltweit beizutragen.
Agroscope ist seit 2001 Mitglied des IFCN und stellt dem internationalen Netzwerk jährlich Informationen über den Milchsektor und über die wirtschaftliche Lage von typisierten Schweizer Milchviehbetrieben zur Verfügung. Die IFCN-Mitgliedschaft von Agroscope wird finanziell durch die Genossenschaft Zentralschweizer Milchproduzenten (ZMP) und die Mooh-Genossenschaft unterstützt.
Der Weltmilchpreisindikator, der vom IFCN berechnet wird (s. nebenstehende Grafik), entspricht dem monetären Wert der Milch ab Hof, berechnet auf der Basis des Preises der folgenden Milchprodukte auf dem Weltmarkt:
- Magermilchpulver
- Butter
- Käse
- Molke
- Vollmilchpulver
Die Gewichtung dieser Produkte basiert auf den am Weltmarkt gehandelten Mengen und erfolgt quartalsweise. Der IFCN-Weltmilchpreisindikator wird in US-Dollar pro 100 kg fett- und eiweisskorrigierte Milch (4,0 % Fett und 3,3 % Eiweiss) angegeben.
Der IFCN-Weltfutterpreisindikator widerspiegelt das Preisniveau für Futtermittel auf dem Weltmarkt. Er basiert auf den Preisen für Sojaschrot und Mais, gewichtet nach ihren jeweiligen Anteilen in einer vereinfachten Mischration.
Weitere Informationen zu den Aktivitäten des IFCN finden Sie hier.