Anlässlich der Biogemüse-Jahrestagung des Forschungsinstituts für Biologischen Landbau (FiBL) trafen sich am 18. Januar 2023 Gemüseproduzentinnen und -produzenten und Forschende aus der ganzen Schweiz in Olten. Die Tagung widmete sich dem Thema Food Waste. Aber was die Produzent(innen) auch deutlich beschäftigte, war der Markt.
Viel Ware, weniger Kunden
Das war beim Rückblick auf das letzte Jahr deutlich zu spüren, denn es gab eine neue Situation: Die Produktion wachse stärker als der Markt, sagte Christian Gerber, Vorsitzender der Fachgruppe Gemüse und Kartoffeln des Verbands Schweizer Gemüseproduzenten (VSGP). Die Konsumentinnen und Konsumenten sind preissensibler geworden. Ausserdem gab es 2022 im Vergleich zu 2021 überdurchschnittliche Erträge. Das habe seine Auswirkungen, sagte Christian Rathgeb, ebenfalls Mitglied in der Fachkommission. Die aktuelle Marktlage ist herausfordernd. «Wir spüren den Wettbewerb nicht nur unter den Produzenten, sondern vielmehr auch zwischen Detailhandel und Discountern», sagte er.
«Es darf nicht sein, dass Karotten zu einem Schundpreis verkauft werden.»
Stephan Müller, Gemüseproduzent
Stephan Müller vom Gemüsebauunternehmen Bio-Land in Steinmaur ZH sagte, dass die Nachfrage nach Bioprodukten sinke, das merke man auch in Preisverhandlungen mit Marktpartnern, «die werden härter». Kritik ging auch an die Detailhändler, die Aktionen zu billig anbieten würden. Es gebe kaum kostendeckende Produzentenpreise. «Es darf nicht sein, dass Karotten zu einem Schundpreis verkauft werden. Wir produzieren hochwertige Produkte, keine Ramschartikel», sagte er.
Nicht zuletzt stiegen die Kosten auch im Gemüsebau: So gab es laut Rathgeb in der Produktion eine Kostensteigerung von 10 bis 12 Prozent für Brenn- und Treibstoffe, Düngemittel, Pflanz- und Saatgut, Neumaschinen, Ersatzteile und Bauten sowie von zirka 10 Prozent im Bereich Dienstleistung (Energiekosten, Transportkosten und Verpackungsmaterialien).
Spielregeln mitbestimmen
Die Bio-Gemüseproduzentinnen und -produzenten möchten den Markt fairer machen und haben dafür eine neue Arbeitsgruppe gebildet. «Wir müssen einmal festlegen, wie die Spielregeln auf dem Markt aus Sicht der Produzenten eigentlich sein sollten», sagt dazu Christian Gerber. Jahresausschreibungen seien immer wieder ein Thema und den Gemüseproduzenten sind sie offensichtlich ein Dorn im Auge.
«Bei vielen Frischmarktprodukten ist es für mich inakzeptabel, wenn ein Produzent einen Preis voraussagen muss, ohne dass er seine Ernte kennt»
Christian Gerber, Fachgruppe Gemüse und Kartoffeln SGPV
«Ich bin einfach der Meinung, ein fairer Markt setzt voraus, dass, wenn der Preis gebildet wird, die Menge bekannt ist», sagte er. So käme bei vielen Produkten eigentlich nur das System der Wochenpreise in Frage. «Bei vielen Frischmarktprodukten ist es für mich inakzeptabel, wenn ein Produzent einen Preis voraussagen muss, ohne dass er seine Ernte kennt», sagt Gerber.
Die Prognose für 2023 sieht Christian Rathgeb verhalten. Er geht von einem abgeschwächten Wachstum aus. Der Trend nach Bio und Nachhaltigkeit bleibe, ob jedoch «mehr» Bio nachgefragt werde, sei offen.
Gemüse an erster Stelle
Claudio Beretta, Wissenschaftler an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) und Präsident von «foodwaste.ch», präsentierte Erkenntnisse und Folgerungen aus seiner Forschung zum Thema Food Waste. Von allen Produkten am meisten verschwendet wird mengenmässig tatsächlich Gemüse, weiss der Experte. In Umwelteffekte umgerechnet liegt das Gemüse an zweiter Stelle hinter der Molke, aber vor dem Fleisch. Bei Gemüse sei also zur Vermeidung von Lebensmittelabfällen ein grosses Potenzial vorhanden.
Beretta stellt aber klar: Nur wenn alle Marktteilnehmer zusammenspannten, könnten Lösungen gefunden werden, um Verschwendung zu vermeiden. Denn obwohl in der Landwirtschaft ein grosser Teil der Lebensmittelverluste erfolgten, seien Schuldzuweisungen an diese fehl am Platz. «Wird ein Lebensmittel weggeworfen, ist es das Resultat einer Ursachenkette, wo sehr viele Akteure beteiligt sind», sagt er. Dabei habe der Detailhandel wahrscheinlich die grösste Hebelwirkung, wie das Beispiel der Aktionen zeigt.
Kritik an Aktionen
Denn in der Podiumsdiskussion, an der Matthias Hofer von Coop, Claudio Beretta, Monika Weiss von Bio Suisse und Stephan Müller teilnahmen, kamen auch die Aktionen der Detailhändler zur Sprache. Diese hätten zugenommen, so Müller. Führe dies nicht dazu, dass der Konsument Überkäufe mache und so Food Waste generiere? Beretta findet, es gelte zu unterschieden zwischen Rettungsaktionen von Produkten, die kurz vor Ablauf stünden, und Kaufförderungsaktionen.[IMG 2]
Ausserdem komme es auf die Haltbarkeit des Produkts an. Bei wenig lange haltbarem Gemüse komme zum Beispiel eine Lösung wie in England in Frage, wo es heisst: «Buy one now, get one free later», was so viel heisst wie: «Kaufe eines jetzt und bekomme später eines gratis».
Das Argument, dass die Konsument(innen) mündig seien und die Entscheidung, ob sie eine Aktion kaufen wollen oder nicht, selber treffen können, lässt Beretta nicht gelten: «Anreize schaffen ist natürlich schon ein Spielhebel», sagt er.