Am 18. Januar 2023 beriet der Umweltausschuss des Deutschen Bundestages die Regulierung der Wolfsbestände nach dem Vorbild der EU-Staaten. Grundlage der etwa zweistündigen öffentlichen Anhörung war der Antrag der CDU/CSU-Fraktion mit dem Titel «Ausgewogene Balance zwischen dem Schutz von Mensch und Tier sowie dem Artenschutz herstellen – Bejagung des Wolfes im Rahmen eines Bestandsmanagements ermöglichen».
161 nachgewiesene Wolfsrudel
Mittlerweile leben gegen 2000 Wölfe in Deutschland. Die Konflikte spitzen sich zu. Die Politik wird von verschiedenen Seiten aufgefordert, endlich lösungsorientiert zu handeln. Insgesamt gibt es gemäss Bundesamt für Naturschutz (BfN) in Deutschland
- 161 Wolfsrudel
- 43 Wolfspaare
- 21 sesshafte Einzelwölfe
Schon bei den Einleitungsstatements der Anwesenden gab es erste Widersprüche. Gemäss Carsten Nowak, Forschungsinstitut Senckenberg, gelten die wissenschaftlich gut erhobenen Daten des deutschen Monitorings (darunter rund 4000 DNA-Proben jährlich) International als vorbildlich. Alexander Kramer, Vertreter der Bundesvereinigung kommunaler Spitzenverbände, äusserte hingegen den Wunsch nach einem wirklichkeitsgetreuen Monitoring.
«Belastbare Daten sind im Bereich Weidetiere nötig, dazu braucht es eine implementierte Forschung», sagte Novak. Evidenzbasiert sollte man Behauptungen betreffend unmöglichem Herdenschutz wissenschaftlich untersuchen.
Frustration bei den Bauern steigt
Stefan Völl von der Vereinigung deutscher Landesschafzüchter sieht sich mit anderen Herausforderungen konfrontiert.
«Die Weidetierhalter sind nach 20 Jahren Umgang mit dem Wolf zunehmends frustriert. Viele beenden still und leise die Nutztierhaltung.»
Stefan Völl, Vereinigung deutscher Landesschafzüchter
Herdenschutz sei zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Die Ausgaben lagen seit 2017 bei 38 Millionen Euro im Bundesgebiet. Dennoch gab es etwa 1000 Übergriffe und 4000 getötete oder verletzte Tiere. «Wir müssen einsehen, dass es den hundertprozentigen Herdenschutz nicht gibt und endlich übergriffige Wölfe unverzüglich entnehmen.» Diese überschaubare Anzahl solle bei geschätzten 2000 Wölfen und einer jährlichen Zuwachsrate von 30 Prozent bundesweit endlich keine Diskussionen mehr auslösen, so Völl.
Koexistenz liegt in weiter Ferne
Auch die Erfahrungen aus der Schweiz und aus Sicht eines erfahrenen und praktischen Biologen waren in Berlin gefragt und wurden von Marcel Züger erläutert:
«In der Schweiz machen wir im Verhältnis zu Deutschland viel. Dennoch muss man sagen, dass wir von einer Koexistenz weit entfernt sind.»
Marcel Züger, Schweizer Biologe
Er verdeutlichte, dass jedes Rudel in der Schweiz rund eine Million Franken koste. Der Herdenschutz sei sehr gut ausgebaut und dennoch gingen erste Edelstücke des über Jahrzehnte aufgebauten Naturschutzes verloren. Auch zu Herdenschutzmassnahmen äusserte Züger in der Live-Übertragung Bedenken.
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Berufsschäfer fordern konsequente Entnahmen
Für Berufsschäfer Andreas Schenk gibt es Kernbedingungen für eine Koexistenz. Dazu gehört für ihn die konsequente Entnahme von Wölfen, die trotz allen Massnahmen Nutztiere reissen. Schenk vertritt die Meinung, der Wille sei bei allen Fraktionen vorhanden, es müsse endlich gehandelt werden.
«Glauben Sie mir, ich habe in den letzten Jahren viel diskutiert und viel Herzblut vergossen. Das ist das Minimum, wenn wir einen Interessensausgleich wollen.»
Andreas Schenk, Berufsschäfer, an die Abgeordneten des Umweltausschusses
«Emotional kann ich als Schäfer mit keinem Wolfsriss leben. Wenn er meine Schutzmassnahmen überwindet und ich alles getan habe, was die Gesellschaft verlangt hat, muss er entnommen werden», beantwortete Frank Hahnel, Schafzuchtverband Berlin Brandenburg e.V., die Frage von AfD-Politiker Andreas Bleck nach der wirtschaftlichen Lage der Landwirte und wie diese so verbessert werden könne, um mit einer derart zusätzlichen Belastung umzugehen.
Weidetierhalter seien nicht für die Ausrottung des Wolfes, betonte Hahnel. Für ein Miteinander müsse es möglich sein, eine Wolfspopulation zu haben, die Abstand von der Zivilisation und Nutztieren hält, sind sich die Vertreter der Schafzuchtverbände und der technischen Universitäten einig.
Emotionale Belastung und administrativer Aufwand
Zur Sprache kamen auch die aufwändige administrative Bürokratie und die fehlende Zusammenarbeit unter den Bundesländern. «Die föderalen Strukturen behindern im Prinzip den Schutz, dem Wolf sind die Grenzen egal», meinte Frank Hahnel auf die Frage von FDP-Politikerin Ulrike Harzer betreffend der nötigen Entbürokratisierung.
Die Quintessenz der Anhörung war zumindest für Anja Weisgerber, CDU/CSU, dass ein aktives Bestandesmanagement EU-rechtlich möglich scheint. Dieses würde die Entnahme übergriffiger Wölfe und zusätzlich die Bejagung bei günstigem Erhaltungszustand ermöglichen.
«Das Ziel muss sein, den Schutz des Wolfes aber auch dessen Akzeptanz zu erhalten.»
Anja Weisgerber, Bundestagsabgeordnete CDU/CSU
Dazu vertritt Sven Herzog von der technischen Universität Dresden die Ansicht, dass es wichtig sei, Denkverbote zu verlassen. Systematische Entnahmen seien zu prüfen und sollen dazu beitragen, die Scheu der Tiere vor dem Menschen zu bewahren, «damit der Wolf ein Wildtier bleibt».
Austausch zwischen Politikern, Sachverständigern und Betroffenen
Durch sein Engagement und die zahlreichen Referate, die der Wolfsexperte Marcel Züger in der Schweiz und im nahen Ausland abhielt, wurde er von der CDU nach Berlin eingeladen. Nebst Züger waren elf Sachverständige und weitere Verantwortliche für das Wolfsmonitoring und das Forschungsinstitut Naturschutzforschung sowie Vertreter technischer Universitäten und Schafzucht- und Jägerverbandsvertreter vor Ort.



