Herr Hofer, haben Sie mit dem Massnahmenplan Sauberes Wasser die AP 22+ durch die Hintertür eingeführt?
Christian Hofer: Nein. Es war ein sehr transparenter politischer Prozess. Der Massnahmenplan basiert auf der entsprechenden Parlamentarischen Initiative (PI). In der PI hat es unter anderem zwei Absenkpfade, der Erste soll die Risiken beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln (PSM) bis 2027 um 50 % reduzieren. Das ist natürlich ambitiös. Der Zweite Absenkpfad betrifft die Nährstoffüberschüsse, die man angemessen reduzieren muss. Das sind Aufträge des Parlaments an den Bundesrat. Mit der raschen Eröffnung der Vernehmlassung wollte der Bundesrat den beiden Volksinitiativen eine zielführende und vernünftig umsetzbare Alternative gegenüberstellen. Das zeigt auch, dass Parlament und Bundesrat die Sorgen der Bevölkerung gehört haben.

Das geht jetzt schneller, als dies mit der Agrarpolitik 2022+ (AP 22+) gegangen wäre?
Die Umsetzung der AP22+ war ursprünglich auf Anfang 2022 geplant. Die nun mit dem Massnahmenplan diskutierten Änderungen werden voraussichtlich auf 1. Januar 2023 in Kraft treten. Ein Teil der Umweltelemente der AP 22+ wurde jetzt aufgenommen . Die Geschwindigkeit ist auch ausgelöst durch die hohen Ziele, die gesteckt sind bei den Absenkpfaden. Wie es mit den übrigen Elementen von AP 22+ weitergeht, entscheidet das Parlament.

Wie weit ist der Bericht gediehen, den das Postulat «Zukünftige Ausrichtung der Agrarpolitik» gefordert hat, das gleichzeitig mit der Sistierung verabschiedet wurde?
Der Prozess ist jetzt voll im Gang, man hat eine breite Begleitgruppe definiert und Mitte 2022 soll der Bericht eine Diskussionsbasis für die zukünftige AP sein.

 

SVP kritisiert Begleitgruppe

In einem Brief an Bundespräsident Guy Parmelin kritisiert seine Partei, die SVP, die Zusammensetzung der Begleitgruppe zur Erarbeitung des Berichts zum Postulat «Zukünftige Ausrichtung der Agrarpolitik» und weiterer Vorstösse.

«Konsterniert nehmen wir zur Kenntnis, dass die produzierende Landwirtschaft in dieser externen Expertengruppe praktisch nicht vertreten ist», heisst es im Brief, der von der Parteileitung unterzeichnet ist. Der einzige praktizierende Landwirt in der Begleitgruppe sei der Vertreter der Schweizerischen Vereinigung für einen starken Agrar- und Lebensmittelsektor (Sals). Dazu seien der Schweizer Bauernverband (SBV) und der Schweizerische Bäuerinnen- und Landfrauenverband (SBLV) mit insgesamt zwei Vertreter(innen) in dieser «Gruppe von 19 heterogenen Teilnehmern» präsent.

Allein der Agrarallianz würden sechs Sitze in der Gruppe zugebilligt. Die Milchproduzenten, die Schweineproduzenten, die Rindviehproduzenten, die Hühnerhalter, die Schafhalter, die Gemüsebauern, die Getreideproduzenten, die Obstproduzenten, die Weinbauern etc. seien nicht vertreten. «Das ist für uns nicht akzeptabel», so die SVP, denn bei den Postulaten gehe es in erster Linie um die Bedürfnisse der produzierenden Landwirtschaft.

Deshalb fordert die Partei Guy Parmelin auf, die Gruppenzusammensetzung noch einmal zu überdenken.

 

Ist es nicht zielführender, statt umfassender AP-Pakete einzelne Anpassungen zu machen?
Das kann ein Weg sein für die Zukunft, dass man sagt, die Schritte müssen klare Profile haben und verdaubar sein. Aber das hängt auch immer davon ab, was das Parlament wirklich will. Die AP muss ausgewogen weiterentwickelt werden. Ökologische, ökonomische und soziale Aspekte werden miteinander vorangetrieben. Es braucht immer einen Mix. Sich nur auf einen Aspekt zu konzentrieren wie jetzt mit der Ökologie, könnte aber auch zu Diskussionen aus der Landwirtschaft führen.

«Der Massnahmenplan ist absolut nicht zahnlos, sondern sehr ambitiös.»

Christian Hofer, Direktor des Bundesamts für Landwirtschaft (BLW).

Der Massnahmenplan ist unter Beschuss bekommen, er sei zahnlos, heisst es von Seiten der Initiativ-Befürworter. Ist er das?
Nein absolut nicht, der Absenkpfad ist sehr konkret. Es ist ein ambitiöses und herausforderndes Paket mit Profil. Gerade im PSM-Bereich führt das zu einer ganz klaren Verbesserung in den Gewässern. Es gibt ja drei Ebenen. Auf der einen Seite bietet die gesetzliche Grundlage eine Riesenchance für die Branche, weil sie selber mitentscheiden kann, wie die Risikoreduktion erreicht werden soll. Der zweite Teil sind die subsidiären Massnahmen des Bundes in Form von Produktionssystembeiträgen (PSB) inklusive Elemente aus dem ÖLN. Das dritte Element ist die Offenlegungspflicht für PSM und Nährstoffe.

Ursprünglich war mal ein einfach formulierter Absenkpfad für PSM geplant, wie konnte daraus eine 131-seitige Vorlage erwachsen, ist das Fuder wieder überladen wie bei AP 22+?
Es ist ein Paket mit Profil, wie gesagt, der Bundesrat schlägt im Auftrag des Parlaments konkrete Schritte vor. Die gesamte Anzahl Seiten heisst noch nicht, dass damit der Aufwand für die Landwirtschaft ansteigt. Wie bei Hoduflu kann auch in Sachen PSM-Absenkpfad und Nährstofverluste die Digitalisierung Vereinfachungen bringen.

Können Sie eine konkrete Vereinfachung nennen?
Bei der Offenlegungspflicht für Kraftfutter und Dünger wird es so sein, dass der Verkäufer diese Daten ins System erfassen muss. Dadurch fällt für den Landwirtschaftsbetrieb ein Arbeitsschritt weg.

Unter dem Strich ist es also eine administrative Entlastung für die Landwirtschaft?
Das habe ich so nicht gesagt. Das gesamte Paket bringt auch zusätzliche Aufwände mit sich. Die Bauern, die hier mitmachen, müssen gewisse Aufzeichnungen und Anpassungen in der Produktion machen. Es ist kein administratives Entschlackungsprogramm, sondern das Ziel ist die Reduktion von PSM-Risiken und Nährstoff-Überschüssen. Das ganze Paket ist darauf ausgerichtet, der Landwirtschaft dabei zu helfen, die Nachhaltigkeit zu verbessern, und die Anliegen der Bevölkerung aufzunehmen. Es ist wichtig, den Weg gemeinsam zu gehen.

Die Agrar-Initiativen kommen am 13. Juni zur Abstimmung, falls ein doppeltes Nein resultiert, würde dann nicht der Tatbeweis fehlen für die Notwendigkeit einer weiteren Verschärfung?
Es stehen schon weitere Initiativen im Raum, die Forderungen nach verbesserter Nachhaltigkeit sind also präsent. Der Weg Parlamentarische Initiative PI wird von allen Interessenorganisationen, inklusive bäuerliche Vertreter, unterstützt.

«Auch im europäischen Raum geht man in dieselbe Richtung.»

Der Einsatz von PSM wird weiter beschränkt, hier gehen wir künftig weiter als unsere europäischen Nachbarn. Warum kürzen wir freiwillig unsere Spiesse im internationalen Wettbewerb?
Auch im europäischen Raum geht man in dieselbe Richtung. Die EU hat einen Green Deal verabschiedet, der bei den PSM eine Risikoreduktion verlangt und den Bioanteil erhöhen will. Ich würde nicht sagen, dass wir uns Wettbewerbsnachteile einhandeln. Im Gegenteil, wir müssen unsere Anforderungen verschärfen, wenn wir den bisherigen Bonus für unsere Produkte erhalten wollen.

Sie haben auch schon festgehalten, dass die Ernährungsgewohnheiten verändert werden müssen, um die Weltbevölkerung nachhaltiger zu ernähren. Wie wollen Sie das erreichen?
Sicher spielen die Konsumentinnen und Konsumenten hier eine Schlüsselrolle. Wenn man die Entwicklung des Konsums anschaut, wird die Nachhaltigkeit immer wichtiger und wenn die Landwirtschaft hier darauf reagieren kann, bieten sich viele Potenziale. Man spricht ja hier von der Farm to Fork-Strategie. Ich sage aber gerne, man müsste das mehr als Fork to Farm-Strategie anschauen. Es heisst also, das System aus dem Konsumentensicht zu betrachten. Hier werden wir sehr stark mit Sensibilisierungen arbeiten müssen.

In der PI war die Rede von einer «angemessenen» Senkung. In der Vernehmlassung ist nun eine N- und P-Senkung von 20 Prozent bis 2030 vorgesehen. Wie kam es zu dieser Verschärfung?
Es handelt sich nicht um eine Verschärfung. Mit der PI hat das Parlament im Landwirtschaftsgesetz eine angemessene Senkung der Stickstoff- und Phosphorverluste der Landwirtschaft bis 2030 definiert. Die konkrete Festlegung der Reduktionsziele wurde vom Parlament an den Bundesrat delegiert. Der Bundesrat hatte mit der Botschaft zur AP 22+ bereits Reduktionsziele für die Nährstoffverluste vorgeschlagen (- 10% bis 2025 und -20 % bis 2030). Die PI folgt im Bereich der Reduktion der Nährstoffverluste daher die gleichen Ziele, die ursprünglich mit der AP22+ angestrebt waren. Aus diesem Grund schlägt der Bundesrat weiterhin eine Reduktion der Nährstoffverluste von 20 % bis 2030 vor.

Die Absenkpfade führen via Streichung der Toleranzgrenze gerade im Nährstoffbereich zu einer Tierbestandsreduktion. Ist das der Weg, den Sie anpeilen?
Die Verfeinerung der Nährstoffbilanz bedeutet nicht direkt, dass Tierbestände abgebaut werden. Die Abschaffung der Toleranzgrenze kann eine Auswirkung haben, aber die Verschiebung von Hofdüngern bleibt zugelassen. Ein Ziel ist auch, die Importe der Mineraldünger zu reduzieren, das heisst, die Hofdünger müssen noch effizienter und gezielter eingesetzt werden.

Sie interpretieren die Absenkpfade also nicht als Instrument der Tierbestände?
Das ist nicht der direkte Auftrag des Parlaments. Man ist sich bewusst, dass man in gewissen Regionen mit hoher Intensität produziert und dass Möglichkeiten geboten werden müssen, eine ausgeglichenere und standortangepasstere Produktion zu erreichen , so dass fruchtbare Böden auch der nächsten Generation zur Verfügung stehen.

Aber die Rindviehhaltung ist ja eine sehr standortgerechte Produktion.
Ich sage immer, im Grünland Schweiz hat der Raufutterverzehrer absolut seinen Platz und für die Flächen ist es die richtige Nutzung. Wichtig ist einfach, dass diese Raufutterverzehrer auch Raufutter-basiert gefüttert werden, so dass es standortgerecht ist.

Können Sie kurz zusammenfassen, was in Bezug auf Kraftfutter und GMF mit dem Massnahmenplan zu gewärtigen ist?
In der Vernehmlassung ist eine der Massnahmen die Begrenzung der Rohproteinzufuhr bei der Wiederkäuerfütterung. Man hat gesehen, dass man das Protein aus den Wiesen holen sollte und höchstens die Energie via Ergänzungsfutter. Damit will man das GMF-Programm ersetzen, weil es standortgerechter und administrativ einfacher ist. Dabei gibt es zwei Varianten mit unterschiedlicher Beitragshöhe.

Künftig sind im ÖLN mindestens 3,5% BFF für Ackerflächen Vorschrift, das wird unter anderem begründet mit einer Reduktion des Nährstoffeintrags, wie lautet da die Logik?
BFF-Flächen werden nicht oder sehr wenig gedüngt. Die neue Anforderung führt zu einer Reduktion des gesamtschweizerischen N-Überschusses von 0,6 Prozent. Beim Phosphor sind es 2 Prozent. Solche einzelne Prozente sind wichtig für die Erfüllung der Absenkpfade. Zudem werden die Nützlinge gefördert, die Biodiversität gefördert und die PSM-Einträge reduziert.

Mit einem PSB sollen finanzielle Anreize für die längere Nutzungsdauer von Kühen und die Reduktion von Methanemissionen gefördert werden. Das ist ja ein eher klimatechnisches Thema, gehört die THG-Reduktion auch in den Massnahmenplan?
Man hat sich sehr stark auf die Absenkpfade PSM und Nährstoffe konzentriert. Mit älteren Kühen nimmt die Zahl der Aufzuchttiere ab, was den Stickstoff-Anfall, ebenfalls reduziert und zwar um rund 1,3 Prozent.

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Es gibt Stimmen, die befürchten, dass halbkranke Kühe mit Antibiotika-Einsatz durchgefüttert werden, um den Beitrag zu holen. Das ist ja nur ein Beispiel für einen der zahlreichen Zielkonflikte in der AP.
In diesem Bereich wird es sich ökonomisch nicht lohnen, eine kranke Kuh länger zu halten. Aber Zielkonflikte sind in der AP ein dauerndes Thema, das wird sich auch in der Erfüllung des Postulats «Zukünftige Ausrichtung der Agrarpolitik» widerspiegeln.. Wir sind in einer Situation wo wir über zwei Initiativen abstimmen, die weder der Bundesrat noch bäuerliche Branche wollen, weil sie zu extrem sind und die Produktion ins Ausland verlagern würden. Der Massnahmenplan sauberes Wasser ist einerseits ein pragmatischer Weg, damit die Landwirtschaft ihrer Rolle als Nahrungsmittelproduzent weiter gerecht sein kann. Andererseits bietet er Chance , weil Themen aufzugreifen, welche die die Bevölkerung beschäftigen aufzugreift und ernst nimmt. Ziel ist, dass alle in die gleiche Richtung ziehen. Das Massnahmenset des Bundes soll die Eigenverantwortung der Landwirte fördern und Anreize bieten, um die Landwirtschaft weiterzuentwickeln, so dass sie weiterhin Nahrungsmittel produzieren kann. Es ist mir wichtig die Weiterentwicklung in einem sehr engen Dialog mit der Branche zu tun

Wo sehen Sie die grösste Absturzgefahr bei den präsentierten Massnahmen?
Dazu kann ich im Moment noch nichts sagen, das sehr kompakte Paket wird sicher breit diskutiert, dazu ist die Vernehmlassung da.