Frau Egger, welche Themen bewegen die Bäuerinnen im Südtirol?
Antonia Egger: Es sind ähnliche Themen wie in der Schweiz: Zum Beispiel der Wolf, die Bevölkerung, die der Landwirtschaft kritisch gegenübersteht, und die wirtschaftliche Situation.
Was braucht es für mehr Verständnis der nichtlandwirtschaftlichen Bevölkerung?
Es braucht vor allem eine gute Kommunikation. Wichtig für Menschen in der Landwirtschaft ist, nicht in die Verteidigungsrolle zu gehen. Denn wir haben nichts zu verteidigen, nur aufzuklären. Wir können nun mal nicht alles, auch wenn wir sehr viel Wert auf Nachhaltigkeit legen. Zudem fordert die Gesellschaft von uns etwas, das sie selbst nicht lebt.
Zur Person
Antonia Egger (62) amtet seit 2019 als «Landesbäuerin», als Vorsteherin der Südtiroler Bäuerinnenorganisation. Die Gemüsebäuerin ist Mutter von vier erwachsenen Söhnen und bewirtschaftet mit ihrem Ehemann Sepp Mair den Obermaurer-Hof in Jenesien bei Bozen (I).
Wo zeigt sich die wirtschaftliche Unsicherheit am deutlichsten?
Bei der Umfrage, die wir im Herbst machten, war ich entsetzt, wie viele Bäuerinnen Existenzängste haben, vor allem in der Berglandwirtschaft, wobei die Milchwirtschaft die tragende Säule der Berglandwirtschaft ist. Dort ist die Arbeit zudem körperlich anstrengend. Ferien zu machen, ist aber oft nicht möglich. Generell müssen immer mehr Bäuerinnen auswärts arbeiten, um die Existenzsicherung des Hofes zu garantieren. Die Umfrage zeigte auch: Die Frauen habe eine wichtige Rolle beim Erhalt der Höfe. Dennoch werden viele Höfe aufgegeben, es kommt zu einem Ausverkauf der Heimat.
Was geschieht mit den Höfen?
Die einen werden ganz aufgegeben. Doch nur wenn die Landwirtschaft lebt, haben wir auch eine schöne Landschaft. Andere werden von Grossunternehmen gekauft, die dann Arbeiter einstellen. Aber die leben das Miteinander auf dem Land nicht. Das ganze ländliche Gefüge kommt aus den Fugen.
Trotz alledem gaben 97 Prozent der Bäuerinnen an, sie hätten Freude an ihrem Beruf …
Die grosse Begeisterung der Bäuerinnen für ihren Beruf stimmt mich zuversichtlich. Die Frauen schätzen es, ihr eigener Chef zu sein, eigene Wege zu gehen, den Tag selbst zu gestalten. Sie arbeiten gerne mit und in der Natur. Und auf einem Hof können sie «Familie» anders leben als in der Stadt.
Also sind Sie vorsichtig optimistisch?
Auf einem Drittel der Höfe sind Veränderungen geplant. Ich bin überzeugt, dass die Bäuerinnen bei diesen Veränderungen mitreden und sie mitumsetzen, und das ist eine gute Nachricht. Toll ist auch, dass sich bei den Wahlen im letzten Jahr viele junge Frauen für Funktionen im Verband zur Verfügung gestellt haben. Von 152 Funktionen wurden 70 mit neuen Ortsbäuerinnen besetzt. Zudem sind unsere Mitgliederzahlen am Steigen.
Südtiroler Bäuerinnen-Umfrage: viel Aufwand, wenig Verdienst, aber Freude am Beruf
Zum vierten Mal machte die Südtiroler Bäuerinnenorganisation im Herbst 2022 eine Umfrage unter ihren Mitgliedern. Rund 700 Bäuerinnen aus allen Landesteilen und aus allen Alterskategorien beteiligten sich daran.
Die Südtiroler Bäuerinnenorganisation ist mit rund 16 700 Mitgliedern die grösste Frauenorganisation des Südtirols. Nur Frauen mit direktem Bezug zur Landwirtschaft können eine Funktion übernehmen.
Die Umfrage zeigte unter anderem:
Über 97 Prozent der teilnehmenden Bäuerinnen haben Freude an ihrem Beruf.
Immer weniger Höfe werden in Vollerwerb geführt. Waren es im Jahr 2002 noch knapp 62 Prozent, so sind es 2022 nur noch rund 40 Prozent.
In der Grünland- und Milchwirtschaft sind die Entwicklungen noch deutlicher. Während 66 Prozent der Betriebe mit Intensivkulturen noch in Vollerwerb arbeiten, sind es bei den übrigen nur noch etwa 30 Prozent.
70 Prozent der Bäuerinnen der Grünlandbetriebe geben zudem an, dass der nichtlandwirtschaftliche Beruf für die Existenzsicherung des Hofes notwendig sei.
Bei den Intensivkultur-Betrieben gehen knapp 45 Prozent der Frauen auswärts arbeiten, um den Weiterbestand des Hofes zu ermöglichen.
Das traditionelle Rollenbild ändert sich langsam: 2002 hatten erst 12 Prozent der Höfe eine Betriebsleiterin, inzwischen sind es immerhin 20 Prozent.
Zwei Drittel der befragten Bäuerinnen sehen die Zukunft ihres Betriebes positiv, ein Drittel negativ. Auf die Frage nach den Gründen für die negativen Aussichten wurde das «nicht stimmige Verhältnis zwischen Aufwand und Verdienst» am häufigsten genannt. Die tiefe Wirtschaftlichkeit des Hofes steht an zweiter Stelle.
Fast ein Drittel der Bäuerinnen planen im Laufe der nächsten fünf Jahre einen zusätzlichen Betriebszweig aufzubauen. An erster Stelle stehen dabei soziale Dienstleistungen wie Schule auf dem Bauernhof oder Carefarming. Agrotourismus und Direktvermarktung kamen an zweiter und dritter Stelle.